Speed Dining in Chicago – wird der Funke überspringen?

In Amerikanischen Restaurants geht es schnell zu, das ist bekannt. Nichts da mit ein paar Stunden essen und dann noch eine weitere Stunde beim Wein sitzen bleiben.

Doch in etwa einer Stunde und zwanzig Minuten habe ich noch nie das volle Menü in einem Drei-Sterne-Restaurant gegessen, selbst für amerikanische Verhältnisse ist das schnell. Speed Dining quasi. Und das zum Minutenpreis von über USD 6 pro Person.

Da sind meine Erwartungen hoch. Wird der Funke überspringen?

Mein Dinner im Restaurant Grace in Chicago

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19:03 – ich betrete das jüngste Guide Michelin Drei-Sterne-Restaurant von Chicago. Werde freundlich zu meinem Tisch geführt. Kontextlos mit der Frage konfrontiert, ob ich das Menü „Flora“ oder „Fauna“ essen mag. Ach ja, der Gast soll sich natürlich so weit vorinformiert haben, dass er die Wahl zwischen dem vorwiegend (?) vegetarischen Menü und jenem mit Fleisch und Fisch mit den angesprochenen Namen wählen kann.

Gut, dass ich vorher den Website studiert habe. Eine Karte gibt es vorab am Tisch nicht, das ist gerade modern. Als Spielverderber der ich bin habe ich auch diese schon am Website studiert.

Gruss aus der Küche

2008 Ferrari „Perlé“, Trento

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19:08 – ich habe zum Beginn eines Menüs schon Oliven von Bäumen gepflückt. Kleinigkeiten von Holzstämmen, Steinen oder toten Fischen, ähm kunstvoll drapierten Fischskeletten genommen. Heute ist also wieder „Baumstamm“-Zeit.

Der ausgehöhlte Holzstamm wird mir gebracht, und schon seine Grösse ist wohl eine Ansage. Noch imposanter an Nebentischen zu sehen, dass jeder Gast seinen eigenen Stamm bekommt.

Abgelenkt durch meine forstwirtschaftlichen Analysen des Holzbehältnisses widme ich dem Notieren der Details zu wenig Aufmerksamkeit, aber geschmacklich war’s eh ganz ok. (7/10)

Osetra Caviar – barnadade, lemon, SCALLION

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19:13 – eine Art Joghurtglas wird mir an den Tisch gebracht. Im Inneren Rauch.

Ich werde instruiert, den Deckel zu Öffnen und die Zitronencreme, welche sich am Inneren des Deckel befindet, abzulecken. Oder falls ich mich damit unwohl fühle, mit dem Löffel abzukratzen.

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Gesagt, getan. Im Inneren des Glases befindet sich ein Fischpüree mit geräucherter Forelle, Zitronencreme, Lauchzwiebel und Osetra-Kaviar.

Die ersten Bissen sind geprägt vom rauchigen und fischigen Geschmack. Dann dominiert die Zitronencreme (ja, ich habe geschleckt). Das ganze wird eindimensional. Kaviar in Zitronencreme: Eine seltene Kombination, und das zu recht, wie ich feststelle. Aber der Kaviar hat ohnedies wenig Chance, sich durchzusetzen.

Mein Gedanke schweift zu den Buffets eines Luxus-Caterers: Dort würde eine solche Speise sicher gut hinpassen. Hier überzeugt sie mich nicht. (7/10)

Alaskan King Crab – sudachi, cucumber, LEMON MINT

2013 Weingut Max Ferdinand Richter „Estate“ Riesling, Mosel

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19:24 – ein kleines Kunstwerk steht vor mir. Auf einer dünnen und durchsichtigen Zuckerplatte sind einige Komponenten des Ganges wunderschön präsentiert, darunter erspähe ich mehr.

Ich werde instruiert, die Platte mit dem Löffel zu zerschlagen, damit deren Einzelteile dann hinunterpurzeln und sich mit dem Gericht vermengen. Gerne doch, wo es Action gibt, bin ich dabei!

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Zum Resultat: Eigentlich könnte das ein famoses Gericht sein. Die Krabbe ist grossartig, die Gurke, Minze und Sudachi (eine Zitrusfrucht) geben Leichtigkeit, Lebendigkeit und schönen Geschmack. Der rote Kaviar gibt mit seiner festeren Schale Textur.

Wären da bloss die Splitter der Zuckerplatte nicht. Süss, klebrig im Mund, einfach nur störend. Ich versuche mich, um diese herumzuessen, was allerdings nicht einfach ist. So wird für mich aus einem 8+ Gericht eines mit bloss 6+/10.

Hiramasa – cannellini bean, zucchini, DAYLILY

2012 Domaine Barmès-Buecher Pinot Blanc „Rosenberg“, Alsac

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19:31 – knapp eine halbe Stunde vergangen, und schon bin ich beim vierten Gang: Hirasama, eine Gelbschwanzmakrele, ist dessen Hauptdarsteller. Sie ist belegt mit einer relativ dicken Scheibe Lardo – es ergibt sich jedoch ein schönes und ausgeglichenes Spiel der Geschmäcker von Fisch und Lardo.

Begleiter sind Zucchini, süssliche Cannellini-Bohnen und Taglilien. Letztere sind Blumen, ich habe den Namen (Englisch: Daylily) mit Google übersetzt. Man verzeihe mir meine botanische Unkenntnis, welche mich meist nur anhand der Grösse eines Gewächses erkennen lässt, ob es sich um eine Blume oder einen Baum handelt.

In Summe ist das Gericht eine ansprechende Komposition mit süsslichem Touch. (7/10)

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Parallel zu diesem und den nächsten drei Gängen wird jeweils ein kleines Brot serviert, dazu gibt es gesalzene Butter und eine gar vorzügliche Kräuterbutter.

Squab – beet, sunflower seed, MÂCHE

1999 I Doria di Montalto „AD Memorial“, Pavia

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19:39 – ansprechend finde ich den nächsten Gang: Die Küche kombiniert das Fleisch einer jungen Taube in Kombination mit Sonnenblumen-Keinem und mit roter und gelber Rübe und kleinen Blättern vom Feldsalat.

Schon das Zusammenspiel der Taube mit den erdigen Aromen der Sonnenblume, intensiv der Fonds. (7+/10)

Pig Tail – endive, cauliflower, OXALIS

2009 Fattoria Cabanon Bonarde „Boisée“, Oltrepò Pavese

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19:47 – das was am Teller optisch an den Schwanz eines Schweines erinnert, ist von der Schwarte und kunstvoll aufgeblasen. Das eigentliche geschmorte Fleisch des Schweineschwanzes verbirgt sich in der Kugel rechts am Teller und ist wunderbar zart, und intensiv im Geschmack. Endivien und Blumenkohl begleiten das ganze.

Und wieder habe ich das Gefühl, dass bei diesem Gericht der optische Effekt im Mittelpunkt steht und auf Kosten des Geschmackes geht. Der „falsche Schweineschwanz“ ist nach dem zweiten Bissen einfach nur noch mundfüllend und langweilig, aber lange noch nicht zu Ende gegessen. „Form follows function“, möchte ich in die Küche rufen! (7/10)

Der gereifte Nebbiolo mit seinem runden Geschmack und seinen erdigen Noten gefällt mir dagegen sehr gut!

Miyazaki Beef – romaine, peanut, VIETNAMESE HERBS

2014 Domaine Champalou „La Cuvée des Fondraux“, Vouvray

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19:56 – irgendwie will der Funke bei meinem heutigen Speed Dining nicht so richtig überspringen. Und wenn das der Fall ist, geht meistens alles erst recht schief.

Der nächste Teller zeigt, dass auch die Zubereitung des japanischen, wunderbar stark marmorierten Miyazaki Beef (ähnlich dem Kobe Beef) misslingen kann – nicht butterzart, wie etwa bei Christian Bau, sondern für meinen Geschmack zu zäh (wenn auch geschmacklich toll). Perfekt dagegen die dünne rohe Scheibe vom Fleisch.

Die weiteren Komponenten geben dem Gericht eine Thai-Vietnam Note: Geröstete Erdnüsse, vietnamesische Kräuter und ein viel zu mundfüllendes knuspriges Reispapier. Dazu eine traditionelle Thailändische Tom Yum Soup zum „dazutrinken wie einen Tee“, was tatsächlich eine gute Idee ist und das Gericht abwechslungsreicher macht und mit der feinen Schärfe belebt. (7/10)

Peach or Mango

Vor dem Menü wurde ich vom Service gefragt: Peach or Mango? Mit der Bemerkung, es handle sich um eine Überraschung.

Nun wird das Rätsel gelöst: Ein Cornetto, gefüllt mit – meine Antwort war „Peach“ – einer kleinen Kugel Pfirsicheis. Ein Gag, der sicher hier oder da für entzücktes Kreischen sorgt. Der mich in seiner Trivialität aber nur langweilt. (6/10)

Strawberry – chartreuse, kaffir, BALM

2014 Elio Perrone „Bigarò“, Piemonte

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20:09 – eine gefrorene Kugel, eine in Stickstoff gefrostete Erdbeergelee-Sphäre und verziert mit einem Minze-Blättchen erreicht meinen Tisch.

Erstaunlich hart im ersten Moment gelingt es mir dann doch, sie mit entschlossenem Schlag mit meinem Löffel zu öffnen. Im inneren eine Art dekonstruierte Erdbeertorte: Stücke von Gartenerdbeeren, Erdbeersorbeet, Kuchenbrösel. Das schmeckt rund, hat Textur und Temperatur und vor allem Geschmack! Einzig den Sockel, auf welchem die Kugel geruht hat, empfinde ich wiederum als recht „klebrig“. (8/10)

Chocolate – green olive, matcha, TANGERINE LACE

2014 Éric Bordelet „Poiré Granit“, Pays d’Auge

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20:16 – der finale Gang ist ein Dessert, welches wie gerade modern Schokolade mit floralen Aromen kombiniert. In meinem Glas befinden sich verschiede Elemente – Schokolade, grüne Oliven, ’Tangerin Lace’ Blumenblätter, eine gefrorene Kugel mit grünem Tee (endlich Bitteraromen und nicht nur Süsse!). Gut kombiniert und sauber umgesetzt (7+/10)

Petit Four

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20:21 – der Espresso ist getrunken, das Taxi wartet bereits, ein kleiner Gruss zum Abschied versüsst mir nach genau 78 Minuten den Heimweg.

Unser Küchenreise-Rating

Zur Küche von Curtis Duffy habe ich keinen so rechten Zugang gefunden. Der Funke ist beim Speed Dining nicht übergesprungen.

Was hier im Hochgeschwindigkeitstempo abgespult wurde, hätte mich in einem Ein-Sterne-Restaurant nicht unzufrieden nach Hause gehen lassen, doch bei drei Guide Michelin Sternen waren meine Erwartungen doch deutlich höher.

So war die Ausgewogenheit der Komponenten nicht immer gegeben, manch optischer „Gag“ ging auf Kosten des kulinarischen Genusses. Und so verdient das Restaurant sicher besondere Beachtung, doch ist für mich nicht eine Reise wert.

Die Weinbegleitung war gut ausgewählt; die ausgeschenkten Weine eher im günstigeren Bereich Weine, jedoch perfekt mit den Speisen harmonierend.

Der Service im Restaurant war zuvorkommend und freundlich. Die Atmosphäre ist von moderner Eleganz geprägt, im Hintergrund sieht der Gast in die offene Küche.

Das Restaurant gehört zu den teuersten der Stadt. Auch im Alinea kann man (je nach Tag/Zeit der Buchung) günstiger das Menü ordern. Das Preis-Leistungsverhältnis war so für mich nicht nachvollziehbar. Und bei einer Aufenthaltszeit von stolzen 78 Minuten ergibt das einen skurrilen Minutenpreis von über USD 6 für eine Person.

Restaurant Grace in Chicago (USA)

Bewertung Essen (?): 7 / 10
Küchenreise-Rating (?): 2 – Kaum wieder
Guide Michelin: ***
Gault Millau:
Gusto:
Küchenchef: Curtis Duffy
Adresse: 652 W. Randolph Street, Chicago IL 60661 (USA)
Telefon: +1-312.234.9494
Web: http://www.grace-restaurant.com
Kosten (Rechnung): USD 408 + ca. 20% Tip (1 Person)
Angekündigter Besuch (?): Nein
Einladung (?): Nein
Extras (?): Nein
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung.

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Andy Hayler (2015) Grace
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