Achtung: Dieser Bericht bezieht sich noch auf die Zeit mit Küchenchef Sauli Kemppainen. Dieser hat mittlerweise das Restaurant verlassen, auch hat sich das Restaurant-Konzept danach geändert!
17 GM Punkte und 1 Michelin Stern – in der Automobilwelt entspräche das dem Einstieg in die Oberklasse. Die nordische Küche, anders als die nordische Automobilwelt floriert diese gerade. Wenn vordergründig auch in der polarisierenden Form eines „dänischen Tesla Elekro-Sportwagens (natürlich nur aus lokalen Batterien produziert)“, weniger als Einstieg in die Oberklasse.
Doch da gibt es da dieses nordische Restaurant in Berlin, das Restaurant Quadriga. Stolz, authentisch, lebensfroh – so wird die ‚New Nordic Cuisine‘ des Finnen Sauli Kemppainen am Quadriga Website beschrieben. Der 17 Gault Millau Punkt ist gerade angekommen. Ist das der „Einstieg in die Oberklasse“ der nordischen Cuisine?
Das Glück einer kurzfristigen Reservierung war uns hold (einige Wochen vor der GM Punktevergabe für 2011). Am Empfang des Hotel Brandenburger Hofes nahm man uns die Mäntel ab und begleitete uns in die Lobby des Hotels, zu einer schön und modern designeten Sitzgruppe am toll aussehenden japanischen Wintergarten. Der optimale Platz, um ein Glas Champagner zu trinken und die Karte zu studieren.
Angeboten werden 2 Menüs, die ‚Edition 1‘ sowie die ‚Edition 2‘, welche auch kombiniert werden können. Oder in Form der „Special Edition“ mit dann 9 Gängen zusammengelegt werden können. Für letzteres entschieden wir uns, natürlich nur im Interesse der Sache, möglichst viel über die nordische Küche zu erfahren…
So wurden wir in das Speisezimmer geführt, welches von den Farben Weiss und Rot dominiert war. Stuck und Kristallluster, dazu die spektakulären photorealistischen Bilder von (?). Der Service zu Beginn komplett ‚unter Wasser‘ (bedingt durch ein oder zwei Veranstaltungen in anderen Räumen) und nur schnell und professionell, aber eher kühl anstatt freundlich agierend. Soviel sei gesagt, das hat sich im Laufe des Abends klar zum besseren gewandt.
Unser Dinner im Restaurant Quadriga in Berlin
0.a Kleine Köstlichkeiten
Zu Beginn wurden uns kleine Köstlichkeiten dargeboten, eine (sehr intensive) Hummer-Curry Wurst, ein Curryschaum mit Tomate, ein Tupfen Curry / einer vom Ketchup. Ok als Einstieg.
0.b Brot
Anschließend das hausgebackenes Brot, dazu gesalzene und gerüffelte Butter.
1. Vorgeschmack Nr. 5
Ein polarisierendes Gericht, soviel sei gesagt. Hering und Lamm sind die Hauptdarsteller. Der Hering sauer eingelegt, das Lamm rot, darunter dünnes Carpaccio. Salziges auf dem Lamm stellt die erste Verbindung zum Hering her. Rote Beete (Eis, Macaron) erdet das Lamm und verbindet gleichfalls mit dem Hering. Das ganze höchst kunstvoll angerichtet auf dem Teller mit einer Vielzahl weiterer Elemente.
Ein polarisierendes Gericht, manche werden es lieben, manche werden es hassen. Wir lieben Hering auch in der Sterneküche, und wir lieben dieses Gericht. Es erinnert uns an den Norden…
2. Rentier + Shitake + Engelwurz
Ausgezeichnete Shitake Suppe, dazu Rentier. Wieder sehr gutes Gericht.
3. Lachs + Sellerie + Terva
Manierter Lachs, dezent und fein zurückhaltend, dazu ebenfalls feine Aromatik spielende Varianten von Sellerie. Um alles ein Terva Sirup/Juice (Terva scheint eine nach Holzkohle bzw. rauchig schmeckende finnische Süssigkeit zu sein), dieser rauchig und intensiver, aber noch ergänzend / nicht überlagend. Gelungen!
4. Seeteufel + Pulpo + Piquillo
Gute Produktqualität beim Seeteufel, festes Flesich, fein. Der Pulpa war toll und wunderbar zart von der Konsistenz. Das Paprika- oder Tomatenmark (?) in der Mitte schien uns zu intensiv für den Seeteufel.
5. Wildentenessenz
Sehr tiefgründige und intensive Wildentenessenz, dazu Ravioli aus Frühlingsrollenteig gefüllt mit Ente. Eine sehr gute Einstimmung auf den ersten Hauptgang, der Fortsetzung des Themas Wildente.
6. Wildente + Pastinake + Preiselbeeren
Der Geschmack der Wildente sehr intensiv (ein Genuss, den in dieser Art meist nur Wildenten bieten), doch ein wenig zäh (lange genug abgehangen?). Dazu ein ausgezeichneter Fonds, die Pastinakenwürfel ok.
7. Rind + Birne + Trüffel
Wieder ein wunderschön angerichtetes Gericht. Das Rind (links oben am Teller) von sehr guter Fleischquaität und perfekt zubereitet. Rechts oben am Teller ein Stück von der Kartoffel mit Fonds und einem weiteren Element (die Notizen lassen hier leider aus…). Rechts unten am Teller ein wunderbar ergänzendes aromatisches Stück Birne, in der Mitte butterzart geschmortes Rind mit Trüffel. Sehr gelungen!
8. Valdeon + Kirsche + Lakritze
Der Käsegang – ein Valdeon (Intensiver Blauschimmelkäse aus Kuh- und Ziegenmilch), darauf eine Lakritzekrische, welche diesen mit Süsse und Säure ergänzt und die scharfen Aromen des Blauschimmels abfedert. Daneben ein Toast mit (viel dezenterem) Valdeoneis.
9. Weisser Russe
Bobby Bräuer – der Vorgänger von Sauli Kemppainen im Quadriga – hat den Weissen Russen auf der Karte des Petit Tirolia in Kitzbühel. Wir nehmen an dass dies kein Zufall ist. Und sind zufrieden, dass diese gar köstliche Kombination aus Kaffee, Sahne und Wodka an mehr als nur einem Ort angeboten wird. Ach ja, beim Amador steht ehr auch auf der Karte – wäre mal Zeit für einen systematischen Quervergleich..
Mit Kaffee fein aromatisiertes Eis, als textureller Kontrast Geleewürfelchen mit den Komponenten. Toll!
10. Aprikose + Mascarpone + Olive
Zum Abschluss noch die Kombination aus Aprikose / Maskarpone (eine Rolle mit Mascarpone und Aprikosengelee, Eis) und Olive (Olivenring – eher bitter, Toast mit Oliven).
11. Tartlettes/ Pralinen / Tee gekuehlt
Zum Abschluss dann Pralinen, Tee und Tartlette. Dargeboten werden jeweils drei Variationen:
– Tee: Basilikum, Zitronengras, Tabak. Eine Art (kalte) Essenz aus diesen Kräutern, in ein Glas eingeschenkt. Der Basilikum-Tee extrem intensiv, in der Nase wie an Basilikumblättern schnuppernd.
– Pralinen: Lavendel, Hibiskus, Velichen. Die Veilchenpraline eher zurückhaltend im Geschmack.
– Tartlette: Maltebeere, Mirabelle, Traube
Eine kreative Idee, und ein schönes Finish zum Kaffee.
Der anfangs dieses Berichtes wegen Überlastung kritisierte Service war zwischenzeitlich zur Hochform aufgelaufen. Irgendwann dann auch Sauli Kemppainen am Tisch; höchst sympathisch und keineswegs abgehoben spürten wir hier echtes Interesse an konstruktivem Feedback (was hat geschmeckt, war’s im grossen Menü schon zu viel oder doch nicht etc.), das ist toll.
In manchen Restaurants erlebt man an dieser Stelle nur einen Pflichtbesuch, die Sekunden/Minuten am Tisch je nach Anzahl Besuchen und Rechnung streng kalkuliert; und Hinterfragen der Werke des Künstlers als ungerechtfertigte Kritik zurückgewiesen – eine vergebene Chance, das unbekannte Wesen Gast besser zu verstehen. Hier genau das Gegenteil… (Disclaimer: Wir suchen an dieser Stelle auch nicht nach Raum für eine salbungsvolle Predigt an die Küche; so viel bilden wir uns wahrlich nicht auf unsere Meinung ein… aber interessanter Austausch macht Spass).
Das Finanzielle:
Mit über EUR 600 für zwei mal das grosse Menü mit Weinbegleitung, Champagner vorab Wasser und Espresso klar am oberen Ende.
Unser Küchenreise Rating:
Alles in allem ein sehr gelungener Abend. Sauli Kemppainen hat seine eigene Handschrift, arrangiert oft kunstfertig vielerlei Elemente auf dem Teller (dennoch in Harmonie) und lässt uns den Norden schmecken.. Wir schätzen Abwechslung, wir schätzen für uns neue Ideen und werden dieses Restaurant wieder für ein weiteres Eintauchen in die nordische Küche besuchen.
Zwischenzeitlich wurde das Gault Millau Rating der Quadriga 16 auf 17 Punkte erhöht, das freut uns zu hören!
5 – Unbedingt wieder
(1 – nie wieder, 2 – wenn’s die Umstände erfordern, 3 – wenn es sich ergibt, 4 – gerne wieder, 5 – unbedingt wieder)
Blogroll – was sagen andere:
Die Quadriga
im Hotel Brandenburger Hof
Eislebner Strasse 14
D-10789 Berlin
wiss Gourmet Beef Grand Cru