Von der Studentenkneipe zum Sternetempel
Von der Studentenkneipe zum Sternetempel: Nur wenigen Restaurants ist diese Entwicklung verdient, das Restaurant Vincent im 2. Wiener Gemeindebezirk ist eines davon. Von Patron Frank Gruber bereits 1973 als Studentenlokal eröffnet, entstand ab 1980 auch das Restaurant.
Kenner der Wiener Gastronomieszene werden sich an grosse Namen wie Meinhard Neunkirchner (jetzt im ebenfalls empfehlenswerten Gourmet Gasthaus Freyenstein) oder Gernold Kulterer erinnern, sie haben dort toll gekocht. Jetzt ist der junge Peter Zintner der Chef am Herd, und kocht mindestens so gut wie damals. Wenn nicht sogar besser…
Wir geben es zu, zunächst nicht an das Vincent gedacht zu haben. Doch versuchen Sie mal, an einem Januar-Samstag Abend in Wien essen zu gehen. Die einen haben Samstags immer zu (Steirereck, Mraz, Kim Kocht), die anderen machen Kreativpause ein (Silvlio Nikol). Manche sind wohl aus finanziellen Gründen nicht mehr oder nicht mehr so wie früher (Riegi, Novelli), andere haben gar nicht aufgemacht (Shangrila)
Und so werden wir freundlich im Vincent begrüsst. Im vorderen Teil viel Holz und Wirtshausatmospähre, der Wintergarten wiederum lässt uns in manchen Details an die schönen 80er Jahre denken. Auch manches Glas ist noch von solchem Stil inspiert. Doch wir verstehen es und heissen es gut, wenn das Geld in die Küche, den Weinkeller und den Service investiert werden, das zahlt sich mehr aus als oberflächlicher Schick.
So wählen wir wild entschlossen das 10-Gang Menü, welches wir mit Herrn Gruber gemeinsam aus den beiden angebotenen Menüs zusammenstellten. Und studierten die beeindruckende Weinkarte (wer z.B. Wachauer Riesling / Grüner Veltliner Smaragd aus einer Vielzahl von Jahrgängen geniessen möchte) und entschlossen uns dann doch für die Weinbegleitung; alle an den Nachbartischen hatten dies auch getan und ständig glänzende Augen. Absolut kein Fehler, doch dazu später mehr… Und so speisten wir:
Unser Dinner im Restaurant Vincent in Wien
0.a Gruss aus der Küche: Kürbis
Zum Start Kürbis in verschiedenen Variationen, ein Röllchen aus einem Kürbisblatt, Kürbischutney, dazu Dörrobst und ein Macaron. Eine etwas „dumpfe“ Geschmackskombination, welche bodenständig wirkte und Lebendigkeit vermissen liess.
0.a Gruss aus der Küche: Salat
Ein Salat mit Pulpo, Krabben, Stangensellerie, ein wenig Tomatenconsomee sowie oben Mozarellaschaum. Wunderbare Kombination, Italienische Lebensfreude im mit dem Salat gefüllten Glas!
1. Gerollt: Gänseleberpraline, Andenbeere, Mandel, Pistazie
Zunächst erwartete uns eine „Mozartkugel“ aus Gänseleber: Die Kugel aussen mit Kakao, in der Mitte eine schickt Schokolade, ganz innen dann Pistazie. Dazu noch Gänseleberpralinen mit Pistazien sowie einer Art „Holzkohle“; das ganze auf Pistaziencreme und mit Physalis (Andenbeere). Eine ganz tolle Kombination! Warum lange nach der perfekten Mozartkugel suchen, wenn doch die aus Gänseleber ohnedies besser ist…
2. Stimmig: Rote Rübe, Joghurt, Buttermilch, Erbse
Eine Art Creme von der Roten Rübe, dazu eine Art Apfelkoreander (grün, in der Mitte des Tellers), zwei weisse Kugeln aus Joghurt und Buttermilch (eine davon innen Flüssig) und Erbse. Am Rande des Tellers tiefgefrorener Buttermilchschnee, welcher dem Gericht Leichtigkeit verlieh. Sehr gut!
3. Consomé vom Ochsenschlepp, Bries, Knoblauch, Sherry
Eine intensive Consomé; darin ein Stück leider zähes Kabsbries. Der fermentierter Schwarzer Knoblauch erschien uns mehr als modischer Gag, ein Würfelchen Cherry Gelee gab wiederum einen schönen Kontrast. Für uns dennoch der schwächste Gang an diesem Abend.
(leider kein Bild)
4. 60 Min. Bio: Karfiol, Dotter, Kärntner Saiblings-Kaviar
Geröstete und frittierte Stücke vom Blumenkohl – ja auch Blumenkohl hat seine Rolle in der gehobenen Gastronomie, sehr fein! In der Mitte ein Eidotter, nicht mehr so fülüssg, liess sich schneiden. Der Kärnter Saiblingskaviar wiederum hatte gegen diese intensiven Aromen wenig Chance und ging eher unter.
5. Getrüffelt: Hausgemachte Tagliolini, Parmesan, Morchelcreme, Perigord
Die dünnen Tagliolini wurden in einer Morchelsauce dargeboten, dazu schwarzer Perigord Trüffel und ein Parmesanschaum – gelungen!
6. Skrei, Topinambur, grüne Bohnen, Birne, Ultraschall Kartoffel
Ein wunderbares Zusammenspiel von Srei, Birne und grünen Bohnen. Zuunterst eine Schicht von Erbsen/grünen Bohnen, darauf der gelungen Fisch; die Birne als Nage, Essig und Schnaps. Einzig die Topinamburchips konnten uns nicht begeistern, warum erinnert uns frittierter Topinambur immer ein wenig an ranziges Öl?
7. Sous Vide: Donauland Bio Milchkalb, kalt geräucherte Polenta, Senfkorn, Sellerie
Ein wunderbar Sous Vide gegartes, zartes Stück vom Milchkalb. Ein uns noch eine Spur zu fest scheinendes Stück vom Kalbsbackerl, jedoch in einer intensiv tiefgründigen, wnderbaren Sauce. Dazu Stangensellerie und kalt gegarte Polenta mit einer Art Kartoffelstroh. Toll gelungener Gang!
8. Oriental: Mieral Taube, Kichererbse, Antigua Melanzani
Gelungene Taube auf Melanzanipüree, Humuscreme und Falafelbälchen. Die Taube in einer vielschichtigen Sauce aus über 20 Gewürzen. Wien liegt nicht am Balkan, Wien liegt am Orient; dies ist der Beweis!
(leider kein Bild)
9. Käse
Eine kleine Auswahl an Käse.
10. Pre-Dessert
Ein Glas mit einer Kombination aus Roter Beete und Schokolade.
11. Zitrusgarten: Aus der Orangerie im Schloss Schönbrunn
Ein schöner Abschluss mit verschiedenen Zitruskomponenten (am Bild schon halb verschlungen)
Die Weinbegleitung:
Mario Raaber, Oberkellner und Sommelier in Personalunion, überträgt seine Begeisterung zu guten Weinen auf die Gäste. Und er jongliert mit Flaschen, bildet Allianzen zwischen den Tischen zwecks im Offenausschank gute Tropfen leeren, erklärt und berät. Die Weinkarte gerade bei Österreichischen Weinen breit und mit einer beeindruckenden Tiefe, auch wenn die einzelnen Blätter – nachdem sie von vielen Gästen durchwühlt wurden – irgendwann ein gewisses Durcheinander ergeben.
Und so erfreuen wir uns an einem Federspiel und einem Smaragd vom selben Winzer. Wir sind beglückt von den interessanten Kombinationen aus Weinen und Speisen. Wir möchten am liebsten vom Nachbartisch einen lange gereiften Grünen Veltliner wegtrinken. Wir erfreuen uns über einen Steinzeiler.
Und wir geniessen Charme, Fachkompetenz und Grosszügigkeit, welche den Gast erfreut und damit das Restaurant beglückt: Zufriedene Gäste kommen wieder und erzählen ihre Erfahrungen weiter.
Das Finanzielle:
Das Menü ist mit EUR 110 akzeptabel bepreist; die Weinbegleitung mit EUR 26 je Person ein Glücksfall. Warum in Österreich auch in der Spitzengastronomie ein Gedeck verrechnet wird, erschliesst sich uns (und nicht nur uns) nicht. Wenn der Gast Messer und Gabel selbst mitbringt, so wäre damit auch niemandem geholfen… In Summe ca. EUR 300 für einen wunderbaren Abend zu zweit!
Unser Küchenreise-Rating:
Ein toller Abend, höchst ansprechende Küche und tolle Weine in ungewöhnlichem Ambiente etwas ausserhalb des Zentrums. Wir werden definitiv wieder kommen!
5 – Unbedingt wieder
(1 – nie wieder, 2 – wenn’s die Umstände erfordern, 3 – wenn es sich ergibt, 4 – gerne wieder, 5 – unbedingt wieder)
Blogroll – was schreiben andere:
- Culinarium Austriacum (August 2011)
- Mangoblüte (November 2011)
Restaurant Vincent
Grosse Pfarrgasse 7
A-1020 Wien