Es lebe die Rebellion!
Rebellion ist laut. Rebellion ist kantig. Rebellion provoziert. Manchmal auch einzig des Provozierens wegen.
Und wenn die Rebellion vorbei ist, manchmal bleibt dann ein schaler Nachgeschmack zurück. Die Erkenntnis, dass sich wenig zum Besseren gewandelt hat.
Manchmal aber herrscht pure Freude darüber, faszinierendes Neues entdeckt zu haben! Die Einsicht, dass vordergründig provokatives auf den zweiten Blick auch wunderbar harmonisch sein kann.
Beim Wein steht die Weinbar Rutz schon lange auf der Seite der ‚gelungenen’ Revolution. Mit der Weinlinie „Rutz Rebellen“, mit dem non-konformen Sommelier Billy Wagner. Der die Weinbar zwar jetzt auf dem Sprung in die Selbständigkeit verlassen hat, doch Christoph Geyler hat bereits übernommen.
Das Menü von Marco Müller hat dafür, so scheint uns, wieder ein paar provokative, doch gelungene Ecken und Kanten zugelegt; und auch hier bleibt ein Lächeln auf unseren Lippen zurück.
Atmosphäre
Im Rutz gibt es nicht das teuerste Silberbesteck, die Weinbar trumpft nicht mit den edelsten Tischdecken auf (um ehrlich zu sein – es gibt gar keine Tischdecken auf den Holztischen). Auch sorgen weder meterweite Abstände zwischen den Tischen noch dicke Vorhänge für dezente Ruhe.
Dafür hat es Leben, dafür hat es Atmosphäre!
Beim Betreten empfängt uns das quirlige Leben an der Bar im Erdgeschoss, an den Tischen in der Weinbar mit Speisen zur „Rettung der deutschen Esskultur“.
Über die beleuchtet Stiege geht es hoch in den ersten Stock ins Restaurant. Im Sommer auf die idyllische Terrasse im Innenhof, ansonsten vielleicht an einem Tisch gleich am Fenster mit Blick auf das Leben in Berlin-Mitte.
Das Personal – charmant und unkompliziert. Jedes Mal wieder viele bekannte Gesichter – auch das spricht für das Restaurant.
Klar, manchem sagt der Stil des Rutz mehr, manchem weniger zu. Uns gefällt das Unkomplizierte und die Freude an gutem Essen und Wein!
Unser Dinner in der Weinbar Rutz in Berlin
Die Karte im Restaurant ist reduziert und einfach. Ein Inspirationsmenü mit 6, 8 oder 10 Erlebnissen wird offeriert. Dazu eine Weinbegleitung, alternativ ist die Weinkarte gross und spannend. Wir entscheiden uns heute für alle 10 Erlebnisse und die Weinbegleitung.
Grüsse aus der Küche
Les Rougesmonts Rose Premier Cru Extra Brut, Veuve Fourny & Fils, Champagne
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Bei einem Glas trockenem Rose-Champagner geniessen wir die Grüsse aus der Küche. Da ist „3-erlei vom Topinambur“ – generell ist die Süsse und der manchmal einen Tick an ranzig erinnernde Geschmack dieser Knolle nicht so unser Favorit. Ansprechend sind die Rote-Beete Chips mit ihrer fast himbeerigen Süsse. (-/10)
In einem Glas wird uns dann ein Champignon (der Pilzkopf fermentiert, in Sojasauce – viel Umami-Geschmack) mit einem kleinen und butterzarten Stück Oktopus und – wenn uns die Erinnerung nicht täuscht – Limettenkoreander gebracht. Wow, was für eine Geschmacksexplosion am Gaumen! (9/10)
Nun folgt ein Schälchen mit eingelegtem Rettich, Birne, Makrele und Speckpulver – speckiger und milchiger Geschmack harmoniert mit der Säure des Rettichs. (6/10)
Vor dem ersten Gang des Menüs wird dann auch noch ein Kartoffel-Parmesan-Brot sowie Anis-Butter (mit Rutz-Logo) an unseren Tisch gebracht. Gerade in dieser Kombination vorzüglich!
Blaue Garnele: Alter Mirin & Ingwer-Kimchi, Schafsrahmeis
2011 Sauvignon Blanc, Weingut von Winning, Pfalz
Drei Komponenten prägen unseren ersten Teller: Da ist die lauwarm temperierte blauer Garnele, welche Frische ausstrahlt.
Da ist der koreanische Kimchi mit Ingwer – intensiv im Geschmack, doch keinesfalls penetrant; mit Säure, Lebendigkeit und Schärfe.
Und da ist der verführerische Geschmack des japanischen alten Mirin (Reiswein).
Die Komponenten verbindet das Schafsrahmeis: Es federt die Aromen ab, gibt etwas Kühle und sorgt im Hintergrund für Harmonie. Und frittierte Garnelenschalen geben noch einen netten knusprigen Effekt. (8+/10)
Entenessenz: Backkartoffel & Schwarze Nuss, Haut
2000 Vintage Port, Quinta do Prassadouro, Porto
Im zweiten Gang kombiniert Marco Müller Püree von der gebackenen Kartoffel mit einer Scheibe von schwarzer Nuss, einem knusprigen Stück Entenhaut sowie einer sehr intensiven und aromatischen Entenessenz. Ein Schluck vom als Begleiter gereichten Portwein lässt die Essenz noch intensiver wirken. (6+/10)
Escabeche: Stockfisch & Birnencidre, Rauchsellerie
2012 Steinreich Riesling, Weingut Ansgar Clüsserath, Mosel
Fruchtig-süss sind die Aromen sowohl des nächsten Gerichts wie auch des leichten, geradlinigen dazu servierten Rieslings.
Der intensiv grüne Birnencidre, die Birne bringen eine fast schon plakative Süsse ein. Die leichte Bitterkeit des Stockfisches könnte – wenn denn die Relationen ausgewogener wären – ein schöner Gegenpart sein, doch sie geht unter. Als textureller Kontrast gefällt uns die knusprige Fischhaut.
In Summe ist uns dieses Gericht zu unausgewogen, zu sehr ins Süsse gehend; und der Fisch kann seinen Part nicht einnehmen. (6-/10)
Bretonischer Wolfsbarsch: Fermentierte Urkarotte & Bottarga, Seeigelschaum
2012 Terra de Cuques, Dominik Huber, Torroja, Priorat, Spanien
Der bretonische Wolfsbarsch am folgenden Teller ist auf den Punkt zubereitet. Umgeben ist er von am Tisch angegossenen Seeigelschaum, welcher wunderbar mineralisch und leicht salzig schmeckt. Die fermentierten Urkarotten steuern eine angenehme Säure bei. Diese Kombination ist spannend, macht bei jedem Bissen Lust auf mehr.
Ein gelungener Gang, welcher auch mit dem wie ein Rotwein verarbeiteten Weisswein aus dem Priorat und dessen mineralischen Noten harmoniert. (8/10)
Grüner Tee: Geflammter Kürbis & Hummer, Melasse-Butter
2011 300m nn Riesling, Weingut Peter Jakob Kühn, Oestrich, Rheingau
Unten in der Bar stosst Billy Wagner gerade auf seinen letzten Arbeitstag an.
Wir erhalten oben im 1. Stock dafür schaumig-kühles vom grünen Matcha-Tee mit einem Hauch von Bitterkeit. Dazu ein geflämtes Stück vom Kürbis, süsslich im Geschmack und mit schönen Röstnoten.
Dazu gibt es in einem kleinen Glasschälchen einen in Melassebutter konfierten Hummer. Ein wenig der durch die Melasse süssliche Butter ist über die Hummerstücke gegossen. (7/10)
Blaumohn: Hibiskus & Poverade, Rotbarbe
2008 Grünhäuser Abtsberg Riesling Kabinett, Weingut Maximin Grünhaus, Ruwer, Mosel
Nun wird es frühlingshaft-blumig! Gelungen die Rotbarbe, dazu Poveraden, Blütenblätter und eine (Curry?)-Sauce mit leichter Schärfe. Doch ganz vorne bei den Geschmackserlebnissen des heutigen Abends ist dieser Gang für uns nicht. (6+/10)
Zwiebelsuppe ganz anders: Bauernkäse-Knödel & Rote Zwiebel, Ochsenmark
Ganz von der Rustikalität entfernt hat sich auch die „Zwiebelsuppe ganz anders“ nicht. Dennoch ist das Gericht filigraner und in der Umsetzung sehr gelungen.
Roter Zwiebel und Zwiebelmarmelade sowie ein Zwiebelsud steuern intensive Aromen bei. Ein Bauernkäse-Knödel neutralisiert diese etwas, bringt andere Geschmäcker ein. Intensiviert wird das ganze durch das Ochsenmark. Das Spiel der intensiven Aromen hat uns gefallen! (8/10)
Begleitet wird das Gericht von einem weissen Amphorenwein von Elisabetta Foradori. Nun ja, Geschmackssache.
56°C Sole-Art: Portweinlandei & Kartoffelasche, Wollschweinbauch
Rose of my Heart, Uwe Schiefer, Südburgenland, Österreich
Im Teller vor uns befindet sich nun ein Portwein-Landei mit Kartoffelasche in einem recht säuerlichen, sehr intensiven Rote-Beete-Süd. Ein kleines Stück Wollschweinebauch – stark geflämt und mit schönen Röstaromen – ist grundsätzlich ein guter Gegenpol (und fettiges neutralisiert bekanntermassen Säure), aber mengenmässig einfach zu wenig, um dem Sud auf Augenhöhe zu begegnen.
Das Gericht hat eine Menge Potential, scheint uns bei unserem Besuch aber noch ein wenig unausgewogen. (7/10)
Blumenkohl Linumer Lammrücken & Bries, Gremolata
2011 Carignan de Caice, Domaine de l’Horizon, Roussillon, Frankreich
Ansprechend der Rücken vom Linumer Lamm, besonders überzeugend jedoch das vorzügliche Stück Lammbries, angebraten und mit schönen Röstaromen.
Begleiter ist der Blumenkohl in verschiedenen Zubereitungsarten, Rosinen geben dazu schöne süsse Akzente. Die kühle Greomlata gibt dem ganzen eine erfrischende Note. (7/10)
Vordessert: Banane, Mandarine, Kakao
Für ein kleines Vordessert muss auch bei 10 Gängen noch Platz sein! Wir erhalten Bananeneis, dazu eine Art Mandarinensaft mit schöner leichter Bitternote, sowie Kakao in einer an festere Brösel erinnernden Konsistent und gleichfalls mit leichter Bitternote. Was sich in unserer Beschreibung etwas kompliziert anhört, war am Teller perfekte Harmonie! (8+/10)
Kuhmilch: Limone & Muscovado Zucker, Dill
Desserts mit Gurke sind, so scheint es, der letzte Schrei. Wären doch alle so gelungen wie unser nächster Teller! Milch/Joghurt in verschiedenen Texturen (kalt, Brösel, als Nocke, ..), brauner Muscovado-Zücker, Dill und die angesprochene Gurke – eine supertolle Kombination! (8+/10)
Grapefruit & Schwarzer Tee
[row][column size=“1/2″][/column] [column size=“1/2″][/column][/row]Unser Abend neigt sich dem Ende zu. Zum Espresso erhalten wir noch eine Kombination von Grapefruit und Schwarztee. Geschmacklich eine überraschend-spannende Kombination, doch für uns ist die Bitterkeit der Grapefruit zu dominant. (6/10)
Die Espresso-Bohnen (peruanische Hochlandbohnen?) wurden (in Berlin) weniger heiss als normalerweise geröstet, dies ergibt einen komplexeren Geschmack, lässt jedoch mehr Säure zurück. Für uns war die Säure zu dominant – wenn schon „Filterkaffee-Geschmackskomplexität“ (auch ein Trend, das Comeback des Gourmet-Filterkaffees), dann nicht unbedingt als Espresso.
[tabs title=“Tabs Group Title“ active=1 event=“click“] [tab title=“Rating“]Unser Küchenreise Rating:
Die Küche von Marco Müller ist kreativ, sie ist abwechslungsreich, sie hat durchaus auch die eine oder andere plakative Kante oder unkonventioneller Idee. Es lebe die Rebellion!
Wir genossen 10 Erlebnisse / Gänge, welche mit ausgezeichneten Produkten, durchdachten Kombinationen, mit präziser Umsetzung, mit intensiven Aromen. Bei manchen Gängen für uns allerdings auch ein wenig unausgewogen oder einen Tick zu plakativ in die süssliche Richtung. Doch in Summe sehr gelungen – wir sehen den Michelin-Stern gleichfalls souverän leuchten.
Der Service ist charmant, unkompliziert, kompetent und ein weiteres Highlight im Rutz; die Weinbegleitung von Christoph Geyler immer wieder mal ‚rebellisch‘ und generell spannend. Das Preisniveau ist gehoben.
Die Atmosphäre im Rutz ist lebendig und fröhlich, das Ambiente vielleicht lockerer und nicht so gediegen wie im einen oder anderen „Sternetempel“: Das kann man, je nach Geschmack und Anlass des Besuches lieben oder hassen.
Wir haben den Abend genossen und kommen sehr gerne wieder!
5 – Unbedingt wieder
(1 – sicher nicht wieder, 2 – kaum wieder, 3 – wenn es sich ergibt wieder, 4 – gerne wieder, 5 – unbedingt wieder)
Wie bewerten andere?
Im Guide Michelin wird die Küche von Marco Müller mit 1 Stern ausgezeichnet. Der Gault Millau bewertet die Weinbar Rutz in Berlin mit 17 Punkten. Im Gusto erhält das Restaurant 8 Pfannen.
[/tab][tab title=“Kosten“]Das Finanzielle
Für das Menü mit 10 Erlebnissen / Gängen, die Weinbegleitung, Champagner, Wasser und Kaffee haben wir für 2 Personen schon EUR 650,- bezahlt.
[/tab][tab title=“Adresse“]Die Adresse
Chauseestrasse 8
D-10115 Berlin
[/tab] [/tabs]