An der Wiener Spitze

17 (Mraz), 18 (Silvio Nickol) und 19 (Steirereck) Punkte durfte ich kürzlich in Wien geniessen. Auch für 2015 sind diese Bewertungen des Gault Millau klar und unverändert.

Meine persönliche Reihung der beiden ersten Plätzen ist eine andere. Silvio Nickol ist an der Wiener Spitze angekommen.

Klar, international kennt man einzig das Steirereck. Dessen Küchenlinie ist eigenständiger. Zu dieser passende Attribute wie ‚regional‘, ‚Gemüse‘ und ‚alte Sorten‘ sind ganz gross im Trend. Und ich empfehle durchaus, auch dem Steirereck einen Besuch abzustatten.

Doch weshalb begeistert mich das Restaurant Silvio Nickol noch mehr? Meine Eindrücke im folgenden:

Mein Dinner im Restaurant Silvio Nickol

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Das Entree des Hotels im Palais Coburg ist nobel und geschichtsträchtig. An diesem Ort haben schon ungarische Grafen, französische Prinzessinnen, englische Botschafter, bulgarische Fürsten, russische Soldaten und die österreichischen Bundesbahnen residiert; ganz wienerisch halt.

Ich schreite durch die grosse Halle des mittlerweile im Besitz der Privatstiftung des Investors Peter Pühringer stehenden Luxushotels. Nenne an der Rezeption meinen Namen und werde zum Aufzug geführt, welcher mich in den 1. Stock zum Restaurant bringt.

Freundlich werde ich in Emfpang genommen und an meinen Tisch gebracht, geniesse dort zum Einstieg ein Glas Rosé-Champagner aus dem Hause Egly-Ouriet. Das Service-Team mit Sven Uzat agiert im international im allerbesten Sinne, souverän, kompetent und charmant. Und würde sich auch in Top-Restaurants anderer Metropolen sehr gut machen.

Die Speisekarte preist das aktuelle Menü an: fünf, sieben oder neun Gänge stehen zur Auswahl. Ich entscheide mich für die umfassendste Variante. Das „Weinarchiv“ des Palais Coburg ist einzigartig – in 6 Kellern werden 60’000 Flaschen gelagert; darunter unzählige Raritäten. Da ich heute alleine speise, vertraue ich mich der Weinbegleitung von Petr Hlinakan.

Auftakt

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Ich erhalte den ersten Gruss. Die Küche kombiniert Saibling mit Kaffir-Limette und Ingwer. Die  leichten Bitternote der Limette harmoniert wunderbar mit dem Touch an Schärfe des schön eingebundenen Ingwers und dem Saibling. (8+/10)

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Auch fein nuanciert sind die Aromen des zweiten Grusses: Auf einer Creme vom roten Paprika ist ein Thunfisch-Tatar platziert, darüber ein vorzüglicher Schaum vom grünen Paprika, ergänzt mit den dezenten Noten des Mohnes. Ein feines Aromenspiel! (9/10)

Leicht und fein ergänzt ein ein Gelber Muskateller Steinriegel von Wohlmuth aus der Südsteiermark die Grüsse.

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Auf eine aussergewöhnliche Geschmacksreise werde ich mit dem nächsten Gruss entführt: Warme Austern begleitet Slivio Nickol mit kühlen, eingelegten Rosinen und einem Dattelfonds. Trotz meiner fehlenden Zuneigung zu Rosinen schmekt mir das verblüffend gut; ausgesprochene Fans dieser Frucht sind vielleicht noch begeisterter. (8+/10)

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Zum nun aufgetragenen, sehr feinen hausgemachten Maisbrot wird mir eine Butter mit Lauch, Asche und Speck sowie eine leicht gesalzene Butter gebracht.

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Und noch ein letztes Mal grüsst die Küche, und erneut ist die Kombination der Geschmäcker, aber auch die Textur spannend.

Auf pulverisierter Bouchot-Muschel befindet sich Kokoswasser, dazu Fenchelsalat, Muscheln und kleine Nordsee-Krabben; letztere in der Schale und in dieser auch verzehrbar. Das ist Meer mit einem unerwarteten Touch an Exotik! (8/10)

Mehr und mehr beginnt die Küche die Aromen „aufzudrehen“. Von dezent-fein haben sich diese zu kräftig-klar gesteigert; die Kombination der Zutaten von sehr ansprechend zu aussergewöhnlich. Ich bin neugierig, wohin mich die kulinarische Reise dieses Abends noch führen wird!

Entenleber: Passionsfrucht, Schafsmilch, Zartbitterschokolade, Erdnuss

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Das Menü startet sehr stark: Die Entenleber des ersten Ganges ist schlichtweg perfekt im Schmelz. Die Passionsfrucht gibt Süsse und Säure, fein geraspelte dunkle Schokolade eine angenehme herbe Note. Schafsmilch in Form von kleinen gefrosteten Kügelchen sorgt temperaturmässig für Abwechslung und verbindet die Komponenten im Mund.

Ich probiere unterschiedliche Kombinationen der Zutaten. So probiere ich mich gerne durch Teller, lasse die Eindrücke auf mich wirken. Ist Schokolade auf dem Löffel, so gibt das den Extra-Kick, an den ich mich auch beim Schreiben dieser Zeilen noch gerne erinnere.

Die Idee dieses Gerichtes klingt nicht aussergewöhnlich. Doch die Umsetzung hebt sich klar ab von den meisten ähnlichen Tellern, sie ist einfach perfekt auf den Punkt gebracht! (9+/10)

Der Riesling Moninger Halenberg Auslese 2010 von Emrich Schönleberbegleitet das Gericht mit seiner angenehmen, doch nicht zu intensiven Süsse sehr schön!

Hummer: Erbse, Kräuterseitlinge, Petersilie, Hühnerhaut

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Aromatisch fein balanciert wird es dann wieder beim nächsten Gericht. Am Teller ein Raviolo mit Hummer, dazu eine Petersiliencreme, Erbsen, krosse Hühnerhaut und Kräuterseitlinge (roh und gebraten). Die Aromen sind dezent, doch sehr gut aufeinander abgestimmt. (9/10)

Der Morillon Pfarrweingarten 1999 vom Sattlerhofin der Südsteiermark überzeugt mich mit seinen reifen Aromen, seinen süssen Noten mit ansprechender Säure und seinem langen Abgang. Ein passender Begleiter!

Kabeljau: Limone, Kartoffel, Lauch, Mönchsbart

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Mit perfektem Garpunkt und sehr guter Produktqualität überzeugt der nun folgende Kabeljau. Die Begleiter sind Lauch, Kartoffel, Limone, Mönchsbart und ein kleines Stück krosse Kabeljau-Haut.

Wiederum eine sehr schöne Kombination mit kräftigen Aromen, Bei manchem Bissen meine ich, die Sauce ist schon einen Tick zu dominant für den Fisch, kämpft gegen ihn anstatt ihn zu unterstützen. Doch das ganze löst sich immer wieder in Wohlgefallen auf. (8/10)

Im Glas habe ich dazu einen Vin de Pays des Côtes Catalanes, einen Riberach Synthese Blanc 2012. Er ist eher tanninlastig und hat eine leiche Bitternote – so richtig warm werde ich mit ihm nicht.

Eigelb: Kalbskopf, Artischocke, Shiitake, Petersilie

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Das Ei mit Kalbskopf ist mittlerweile schon so eine Art Signature-Dish von Silvio Nickol. Die Grundidee des Gerichtes, die Präsentation: Keinesfalls neu.

Die Eierschale ist gefüllt mit klein gewürfeltem Kalbskopf in intensivem Kalbsfonds, einem fast flüssigem Eigelb, Artischockenschaum, Shiitake und Petersilie. Das ist aromatisch intensiv, doch von Textur und Geschmack rund, weich und verführerisch, mit erdigen Noten und langem Nachhall. Und hebt sich dadurch ähnlichen Gerichten ab. (9/10)

Önologisch begebe ich mich dazu in die Welt der Orange-Weine. Ein L’Estro 2009 von Del Bondowird mir aus der Magnumflasche (nur 1’000 Flaschen abgefüllt) eingeschenkt. Bei den modischen Orange-Weinen bin ich ja immer ein wenig skeptisch: Manche sind richtig spannend, andere wirken einfach nur schlecht gemacht. Jener in meinem Glas ist deutlich mehr auf der ersteren Seite.

Rinderbacke: Hummus, Karotte, Cous Cous, Kichererbse

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Klassischer wird es dann bei der Rinderbacke. Diese ist – wie nicht anders zu erwarten – butterzart. Bilderbuchmässig intensiv und tiefgründig ist der Fonds dazu. Weitere Begleiter sind die Karotte in verschiedenen Texturen (und mit rohen und gekochten Aromen), der Couscous (auch als Couscous-Papier) sowie die texturell und geschmacklich überzeugenden Kichererbsen. (8/10)

Gleichfalls überzeugend ist der 2001er Clos des Ursules 1er Cru from Louis Jadot. Kein Pinot Noir der ganz feinen Klinge, sondern kräftig mit erdigen Aromen und langem Abgang ergänzt er das Gericht auf gelungene Art und Weise.

Reh: Spitzkohl, Sanddorn, Buchweizen, Preiselbeeren

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Der nun folgende Gang ist für mich der ‚schwierigste‘ des Abends. Reh in Gewürzmantel wird nach klassischem Geschmacksbild kombiniert mit Wirsing, Spitzkohl-Blättern, einem Macadamia-Püree und Preiselbeeren. Umgesetzt ist das ganze modern, entschlackt, ansprechend und ohne Rustikalität. So weit, so gut.

Doch dann ist da die Sauce Rouennaise: Sehr dick, schwer, intensiv. Richtig intensiv. Für mich ist das klar zu viel. Wie auch schon im letzten Jahr bei einem sehr ähnlichen Gericht. Doch Geschmäcker sind verschieden, sonst wäre diese Kombination kaum mehr auf der Karte. Doch mich lässt sie irritiert zurück. (?/10)

Auch der Wein, ein Bonne Nouvelle 2004aus Stellenbosch / Südafrika, gefällt mir wenig. Marmeladig-intensiv, schwer, fast schon plump wirkt er auf mich. Muss er wohl auch sein, sonst hätte er neben der Sauce keinerlei Chance. Das ist kein Duett zweier Harfen, sondern hier treffen zwei Presslufthämmer aufeinander.

Schafskäse: Blaubeeren, Brunnenkresse, süsser Senf, Hanfsaat

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Der Käsegang macht alle Irritationen schnell wieder vergessen. Ist voll und ganz auf meiner Linie.

Der Kärntner Hanfkäse aus Schafsmilch ist extra von den Eltern eines der Köche für das Restaurant gemacht, so erzählt man mir. Dazu gibt es Blaubeeren als Beeren und als Blaubeeren-„Papier“, Brunnenkresse und als perfekten Kontrapunkt einen Tupfen süssen Senf. (7+/10)

Der Grüne Veltliner Kollmütz Smaragd 2006 von Rudi Pichleraus der österreichischen Wachau – er stammt aus Wösendorf, einer der kühlsten Lagen dort – gefällt mir mit seinen mineralischen und reifen Aromen.

Melone: Hendrick’s Gin, Kardamom, Bronzefenchel

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Den ersten Gang des Desserts habe ich zunächst unterschätzt. Es stammt aus der Hand von Chef-Patissier Dennis Ilies, vormals im  La Belle Epoque in Travemünde.

Optisch ist die Kombination von Melone, Hendrik’s Gin, Kardamon und Bronzefenchel nicht spektakulär. Der erste Bissen scheint mir ist zurückhalten angenehm.

Doch Löffel für Löffel wird das ganze immer spektakulärer. Die Melone ist intensiv aromatisch. Der Geschmack von Kardamom harmoniert wunderbar. Die weissen Tupfen vom Hendrik’s Gin sind intensiv und alkoholisch, doch ohne jeden Touch unangenehmer alkoholischer Schärfe. Der Bronzefenchel gibt den gewissen Touch. Die Texturen sind abwechslungsreich.

Dieses Dessert nimmt mich auf ganz spezielle Weise auf eine faszinierende Reise. (9+/10)

Als Begleitung dazu wird mir ein Moscato d’Asti Vigna Senza Nome 2013 von Braidagereicht.

Apfel: Rucola, Ziegenkäse, Himbeere, Walnuss

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Der zweite Gang aus der Patisserie kombiniert Apfel (etwa als Sorbet) mit Rucola, Walnuss, einen Schokoladen-Walnussbrot, intensiv-aromatischer Himbeere und Ziegenkäse (gefrorene Kügelchen).

Das ganze ist wunderbar rund und harmonisch, ich geniesse Löffel für Löffel. Und merke, das Gericht zaubert mir ein breites Lächeln ins Gesicht. (9/10)

Ausklang

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Ein kleiner süsser Abschluss ist nun noch Joghurt/Joghurteis mit VanilleThymian und Brombeere – gelungen! (8/10)

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Drei Kleinigkeiten, Marcaron – Passionsfrucht, Pfirsich – Lavendel und Canalé beschliessen dann die spannende kulinarische Reise dieses Abends.

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Bei einem doppelten Espresso (in Wien sind diese immer so wunderbar-italienisch klein) lasse ich den Abend nochmals Revue passieren. Und bilde mir mein persönliches Urteil: Für mich führt das Silvio Nickol den Reigen der Top-Restaurants in Wien an.

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Unser Küchenreise-Rating

Klare und oft intensive Aromen zeichnen die Gerichte aus der Küche von Silvio Nickol aus. Sie mögen auf den ersten Bissen manchmal polarisieren, doch sind sie wohl ausgewogen und nicht einseitig-dominant; und sie machen Gang für Gang immer aufs neue spannend.

Die Speisen sind kreativ, die verwendeten Produkte erstklassig. Die technische Umsetzung ist absolut perfekt. Küchentechnik unterstützt den guten Geschmack, sie ist kein Selbstzweck.

Die Küchenlinie ist über die letzten Jahre reifer, die Gerichte ein wenig reduzierter geworden; und die Qualität des gebotenen hat weiter zugelegt. Wir sind gespannt, wohin diese Reise noch führen wird!

Die Räumlichkeiten sind modern, die Atmosphäre ist international im besten Sinne. Der Service mit Sven Uzat ist charmant, kompetent und überzeugend. Die Weinbegleitung von Petr Hlinak war sehr ansprechend. Der Weinkeller, das „Weinarchiv“ ist ein Paradies für jeden Weinliebhaber und hält von exquisiten Raritäten bis zu einer grossen Auswahl leistbarer Flaschen alles bereit.

Ein Restaurant wie das Silvio Nickol könnte sich in jeder internationalen Metropole behaupten. Was allerdings auch heisst, es ist auf den ersten Blick verwechselbarer als die Steirerecks & Nomas dieser Welt. Das konsequente Weiterverfolgen der eingeschlagenen Richtung, der eine oder andere weitere Signature-Dish mögen helfen, hier noch unverwechselbarer zu werden. Und ein zweiter weitum bekannter Leitbetrieb würde auch dem Restaurant-Standort Wien mehr Aufmerksamkeit verschaffen.

In jedem Fall, ich möchte bei einem meiner nächsten Wien-Besuche unbedingt wieder hier einkehren!

5 – Unbedingt wieder

(1 – sicher nicht wieder, 2 – kaum wieder, 3 – wenn es sich ergibt wieder, 4 – gerne wieder, 5 – unbedingt wieder)

Wie bewerten andere?

Der Guide Michelin bewertet das Wiener Restaurant Silvio Nickol mit 2 Sternen. Der Gault Millau vergibt für Leistung der Küche 18 Punkte.

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Blogroll – was schreiben andere?

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Das Finanzielle

Für das 9-Gang-Menü mit Weinbegleitung, Wasser und Champagner vorab habe ich EUR 330 bezahlt.

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Die Adresse

Restaurant Silvio Nickol

im Hotel Palais Coburg

Coburgbastei 4

A-1010 Wien

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