Zürichs ungekrönte Königin
Gastartikel
Nach dem World Happiness Report sind die Menschen in der Schweiz am glücklichsten auf der Welt. Wenn dann ein populäres Wochenmagazin ‚Zürichs beste Adressen zum Essen‘ veröffentlicht, kurioserweise genau 16 davon, dann kriegen wir Küchenreisende wahrhaftig Grandioses geboten, von elegant bis einfach. Die kulinarische Welt liegt der Limmat zu Füssen: ob asiatisch, ländlich, ein Pop-Up Kiosk für Burritos, ‚brachial saisonal‘, neapolitanische Sfogliate oder die urschweizerische Kalbsbratwurst, es gibt von allem. Die wirkliche Heimat aber, Anfang und Ende hiesiger Kulinarik, da, wo wir in der Provinz (‚Downtown Switzerland‘), Weltbürger sein dürfen und wo wir stilvoll auf neue Jahre anstoßen, diese Adresse fehlt. Ist 17 etwa keine schöne Zahl? Oder sind wir bei der Königin aller Gaststätten eh‘ eine Liga über „Tipps“? Als Gäste auf der Küchenreise machen wir uns auf. Der Frühling naht, und wir besuchen wieder einmal die besten von allen, die KRONENHALLE.
Seit 1924 am Bellevue, dem Herzen der Stadt, mit vielbesungenen Bildern an den Wänden, und Besuchern, die den Bildermalern Klee, Miro, Braque und Picasso in Berühmtheit in nichts nachstehen wollen: Coco Chanel, James Joyce und Yves Saint Laurent, um nur ein paar zu nennen. Einen Tisch kriegt man immer, und wenn die große und luftige Brasserie voll ist, wie heute, dann sitzen wir halt oben, oder drüben im Chagall-Raum. Vorher aber gehen wir noch in die Bar. Angenehmes Licht, weder die Tische noch die Barstühle stehen zu nah beieinander, man ist hier gut aufgehoben. Die Bedienung ist schnell, effizient, und ausnehmend freundlich – inklusive einem Schuss Humor, und, das versteht sich inzwischen von selber, ausgezeichnetem Service. Was die Wände hier erzählen könnten, und die Angestellten für sich behalten…
Die Drinks sind solide und nicht kleinlich bemessen, die Snacks dazu zwar nicht von Hand zubereitet, aber abwechslungsreich. Speisen gibt es auch, und manche Gäste bleiben gleich den ganzen Abend hier, anstatt durch die Gänge und am berühmten grünen Waschtisch vorbei ins Restaurant zu wechseln.
Wir schaffen den Wechsel und lassen uns in der Mitte des Raums nieder, aufmerksam umsorgt: unsere Mäntel werden von der einen Garderobe in die nähere umgehängt ohne dass wir darum gebeten haben, auf den Tischen stehen frische Rosen, und die berühmten ‚Bürli‘ der Bäckerei Gold, fein in Scheiben geschnitten, sind so knusprig, daß Krümel uns trotz wiederholtem Saubermachen den ganzen Abend begleiten.
Die Karte ist abwechslungsreich, von asiatisch angehauchten Vor- und Hauptspeisen bis zu bodenständigen Schweizer Grundnahrungsmitteln findet man von allem. Wir wollten etwas Leichtes essen, und obwohl die Kronenhalle dafür nicht berühmt ist, wird es uns gelingen. Hier werden Wünsche ernstgenommen, wahrscheinlich könnte man in diesem Restaurant auch ankündigen, heute esse man mal umgekehrt, Nachspeisen zuerst, oder man wolle gerne drei davon, statt einem normalen Menü. Es würde kaum mit der Wimper gezuckt werden, und das ist genau das beste hier: Gäste sind Könige, mit und Charme lässt sich fast jeder deren Wünsche befriedigen, und alle sind happy.
Wir erinnern uns an den Scherz übers Harrods, das vermutlich beste Kaufhaus der Welt, wo einfach alles erhältlich sein soll. Eine Journalistin, das Gerücht auf seinen Wahrheitsgehalt prüfen wollend, bittet in der Gourmet-Abteilung um ein Sandwich mit Elefantenfleisch. Ach, sagt der Verkäufer unglücklich, das hätte ich sofort für Sie zubereitet, aber jetzt sind uns grad ausgerechnet die Semmeln ausgegangen!
In der Kronenhalle bestellt man deshalb am liebsten Dinge, die nicht auf der Karte stehen. Das gibt einem so ein verschworenes und, zugegeben, auch verwöhntes Gefühl. Einmal aber war uns so sehr nach Kalbskotelett, daß wir einfach nicht anders konnten, und siehe da, es schien der Küche fast schelmisch Spaß zu machen, sich für eine geheime Speise besonders Mühe zu geben. Es schmeckte jedenfalls perfekt.
Heute aber werden wir brav sein, der Karte folgen, und klassisch ordern. Wir fangen an mit einer Variation der Caprese, oder eher, der Essenz von Caprese: Burrata mit Tomate, nicht zu viel Gemüse dabei, der Star des Tellers ist der frische, zartschmelzende, würzige Käse, der angenehm weich im Mund zerfließt und dabei seine sahnige Konsistenz bewahrt. Die Tomate unterstützt das mit ihrer halbsauren Süße, und mehr braucht es einfach nicht, denn es ist gut so.
Die Spargeln mit Hollandaise kriegen auch in der kleinen Portion schön genug Soße. Der Focus ist da, wo er hingehört: auf den frischen Frühlingsboten, aus Deutschland natürlich und nein, grüne Spargeln würden sie nicht anbieten, die kämen noch von zu weit weg. Die leichte Bitterkeit des Gemüses schwelgt im salzigen goldenen Fett und verbindet sich zu einem perfekten ersten Gang, der Lust auf mehr macht.
Die Kronenhalle hat sich zwar nicht schreierisch dem lokalen Gewerbe verpflichtet wie so manch‘ anderes Restaurant am Ort, aber auch hier ist man sich der Verantwortung, die man als Konsument nun mal hat, bewusst. Der Genuss kommt an erster Stelle, aber nicht auf Kosten von handels- oder umwelttechnischer Fairness. Nix da mit ‚frischer mediterraner Küche mit Produkten aus der Region‘ sondern simple Gastfreundschaft, gutes, gescheites Essen, geradeheraus. Große Qualität, nicht großer Firlefanz, das hat die Königin nicht nötig. Zwar gilt auch hier das ewige (sic!) Bonmot, dass sich nur treu bleibt, wer sich ändert, und wenn die Königin nicht straucheln will, muss sie wachsam bleiben. So lange sie aber so nahe beim Publikum ist, und dessen Wünsche und Bedürfnisse ernst nimmt, während sie neue Moden und Tendenzen studiert und anwendet, wo sie sinnvoll sind, so lange sind wir zuversichtlich.
Auch bei der Hauptspeise bleiben wir klassisch, einmal das Fleisch vom Wagen, einmal das Schnitzel. Vom letzteren eine kleine Portion, und die ist schon so reichlich bemessen, daß es an nichts fehlt. Das Fleisch ist saftig, die Kruste knusprig und gut gewürzt, die Rösti dazu sind schmackhaft und klassisch lecker. Manche gebürtige Wiener können hier beruhigt einkehren und sich niederlassen, es wird ihnen gut ergehen.
Vom Wagen gibt es heute Rind, ein Entrecôte, mit Bratkartoffeln und und Spinat, zweimal einen Tellerservice und alles geht weg. Wie gut, dass manche von uns scheinbar endlos viel essen können!
Das Fleisch ist perfekt gebraten und gut gewürzt, der Spinat sämig ohne schwer zu sein, und die Kartoffeln sind knusprig. Keine Aufregung, nichts Neues, alles bewährt, und gut, und lecker.
Schließlich sind wir satt. Wir lehnen uns zurück, trinken noch den letzten Schluck Wein, und schauen dem Betrieb zu. Da sind Familien, die sich lautstark zuprosten, ein Paar zu unserer Linken, und noch eins weiter weg, wo der Mann doppelt so alt ist wie die Frau und die Frauen beide klein und schlank sind mit langen dunkeln Haaren zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Die Männer sehen wichtig aus, der eine trägt ein buntes Foulard zu einem noch bunteren Hemd, sieht bohemien aus und passt hierher, der andere etwas grauer, dafür natürlich eine dicke schwarze Hornbrille, dazu lange graue Haare. An einem anderen Tisch sitzen vier junge wunderschöne Frauen, die viel kichern und das Essen fotografieren, und ein paar Mal sehen wir auch die Spesenritter, halbwegs junge Männer in Anzügen, offensichtlich noch bei der Arbeit, und mit Kunden beim Essen, etwas angestrengt, aber den Genüssen durchaus nicht abgeneigt.
Der Service wieselt zwischen den Tischen herum, nie geht jemand vorbei der sich nicht zuständig fühlt, wenn da Krümel sind, werden sie weggewischt, auch wenn das nicht ‚unser‘ Kellner ist, wenn wir fragend in die Runde schauen, schnellt jemand zu uns, einfach der, oder die, die gerade am nächsten stehen. Es entgeht ihnen nichts, diesen adleräugigen Serviceleuten, sie sind, was der Abend hier ausmacht, sie sorgen dafür, dass wir uns wohlfühlen, daheim, und trotzdem verwöhnt.
Wir trauen uns zum Dessert vor, und da erwartet uns eine Bestätigung des guten Abends, und eine Enttäuschung. Vorher aber genießen wir die feine, hauseigene Schokolade. Sieht aus wie After Eight, hat aber eine zitrusfruchtige Füllung. Wir hätten auch viel mehr davon nicht liegengelassen… und die Zürcher Hüppen sind fein, knusprig, und nur etwas trocken vielleicht, und passen aber wunderbar zum Kaffee.
Das Mousse au Chocolat, am Tisch geschöpft und angerichtet, ist im Nu verschwunden. Das Tiramisu mit Blutorangen hingegen vermag uns nicht zu überzeugen. Die Orangen sind wässrig und halten nicht gut gegen den luftigen Biskuitteig und den Mascarpone. Wir teilen unsere Frustration mit dem Kellner und er nickt und meint, das hätte er auch so empfunden, aber die Küche wolle halt auch einmal etwas Neues probieren. Das verstehen wir, uns respektieren wir, und freuen uns auf ein nächstes Gelingen. Als Dank für unser Feedback geht der Kaffee aufs Haus, danke schön für die Geste. Vielleicht das nächste mal ein Tiramisu alle Fragole probieren, das funktioniert doch eigentlich immer. Wir werden wiederkommen dafür.
Der Abend endet mit einem clownesken Kellner und einer fairen Rechnung. Natürlich kommen wir wieder, immer wenn man mal genug hat von Erlebnisgastronomie oder sonstigen Trends, und sich nach guter alter Gastfreundschaft sehnt, nach Service, der dem Gast gefallen will, und nicht sich selber, nach einer Küche, die Gutes liefert, und auch mal was ausprobiert, nach einem Haus, in dem man sich daheim fühlt, und doch elegant, dann werden wir uns anschauen und sagen, ach komm, Kronenhalle. Da weiß man, was man hat, und wird doch jedesmal wieder überrascht, aber nie so, daß einem nicht wohl wäre dabei.
Restaurant Kronenhalle, Zürich (CH)
Artikel: | Gastartikel |
Küchenreise-Rating (?): | 5 – unbedingt wieder |
Guide Michelin: | – |
Gault Millau: | 14 / 20 |
Gusto: | – |
Küchenchef: | Peter Schärer |
Adresse: | Rämistrasse 4 CH-8001 Zürich |
Telefon: | +41-44-262 99 00 |
Web: | www.kronenhalle.com |
Kosten (Rechnung): | CHF 227 (2 Personen) |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |
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