Wenn sieben Mal pro Jahr ein ‚Congrès‘ über das Städtchen an der Côte d’Azur hinwegfegt, stecken die Cannois das locker weg. Und sogar beim Festival kommen sie nicht ins Schwitzen, dieses Jahr schon gar nicht, es war so kühl wie noch nie. Aber wenn die Bevölkerung 10 Tage lang von rund 70’000 Menschen auf über 200’000 anschwillt, wird gekonnte Gastronomie eine Kunst. Als erfahrener Küchenreisender an der Côte habe ich mich dieses Jahr auf die leisen Töne konzentriert. Hier ein nicht allzu kulinarischer Sterne-Bericht also – dafür mit echten Stars.  (Gastartikel)IMG 3385 Die echte Leinwand im grössten Saal, Limière genannt. Anfang der Vorführung

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Aussenansicht Palais des Festivals – man betrachte den Screen mit dem roten Teppich

 Obwohl das Filmfestival im Mai stattfindet, einem Monat ohne ‚r‘ also, gilt der erste Stop in Cannes den famosen Meeresfrüchten bei Astoux & Brun. Seit 1957 überzeugt das traditionelle Lokal immer wieder mit seinen frischen Produkten und dem freundlichen Service. Reservieren kann man hier nicht, und die Schlange der Wartenden reicht meistens weit auf die Straße hinaus. Es gibt hier alles, was der salzwasserbegeisterte Esser sich wünschen könnte, Muscheln, Schnecken, Fische, und ein ganz klein wenig Fleisch für die, die nicht anders können. Effizient ist die Bedienung, hoch der Lärmpegel, knusprig das Brot, salzig die Butter, comme il faut, und immer wieder. Am besten sind natürlich die Austern, mit etwas Zwiebelvinaigrette, oder Zitrone, einfach unschlagbar frisch. Eine Brise Meereswind im Mund, anders kann man das nicht nennen.

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Das Schöne an der hässlichen Stadt von Cannes ist alles Drumherum: die Luft, das Wasser, die Sonne (wenn sie denn scheint). Wenn fast eine Viertelmillion Menschen über die großzügige Croisette stolziert oder sich durch die engen Gassen wälzt um sich an schlabbrigen Eiswaffeln festzuhalten (ich verzichte), dann tut es gut, wenn wenigstens das Schauspiel am Himmel etwas hergibt. Ansonsten findet sich natürlich Großartiges auf der Leinwand, immer wieder, auch nach mehr als hundert Jahren Kino, aber manchmal reichen ein paar Wolken über alten Segelschiffen.

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Darüber, welche Macarons denn nun die besten sind, herrschen inzwischen richtige Glaubenskriege. Obwohl ich Salziges, oder besser, Umami, jeder Süßigkeit vorziehe, kann ich die Qualität von Lakritze- oder Melonen-Macarons durchaus schätzen. Ladurée in Cannes an der berühmten Rue d’Antibes ist eine stille Oase der Gediegenheit, es gibt neben leckeren Backwaren (in jeder wird, wie in Frankreich üblich, eine Tonne Butter verarbeitet) alle Farben und Formen der Macarons. Die Geschenkedose, die ich für die Daheimgebliebenen mitnehme, überlebt den Aufenthalt nicht.

Die fruchtigen Teile schmecken nach Obstgarten, die sämigen nach allem, was verboten ist, und alle zerfließen im Mund als ob sie aus Luft wären, und schaffen es gleichzeitig, sanft knusprig zu sein. Es ist ein Rätsel, das wiederholt gelöst werden will, und mich schließlich zwingt, als Mitbringsel eine schöne Flasche Wein einzupacken. Die kann ich wenigstens nicht anknabbern.

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Bleiben wir bei den Süßigkeiten. An einem ‚Power Breakfast‘, an das internationale Filmindustrie-Gäste vom Festival eingeladen werden, kriegen wir vor allem viele Reden serviert. Am lauschigen Plage des Palmes sitzen wir im zeltartigen Konstrukt und genießen Filterkaffee in Thermoskannen (ich vermute, der ist einfach altmodisch, nicht neuhippsterig konzipiert), Patisserie (auch ganz kleine Stücke können endlos viel Butter enthalten), Organgensaft und Wasser. Auf Champagner warte ich vergebens, aber den besorge ich mir später selber, s. unten. So ein Festival ist nicht wirklich sehr glamourös für die, die da arbeiten müssen, und auch dazu später mehr, nämlich dann, wenn wir die Restaurants nicht mehr aushalten und uns mit Baguette und Wein in die Wohnung zurückziehen, pardon, ins Appartement natürlich.

Hier am Plage des Palmes gibt es jetzt vor allem Kuchen, gemäß dem fälschlicherweise der französischen Königin Marie- Antoinette zugeschriebenen Zitat. Auf den Hinweis, die Armen könnten sich nicht einmal mehr Brot leisten, soll sie gesagt haben: »Dann sollen sie eben Kuchen essen!« – tatsächlich war das aber der Schriftsteller und Moralist Jean-Jacques Rousseau, der gerne die Dekadenz und den Sittenverfall des Adels anprangerte. Einerlei, das Bild spricht für sich. Da gibt es ein Muffin mit Gold obendrauf, und natürlich die Palme von Cannes. Geschmeckt hat das nicht. War ja auch ein Arbeitsessen.

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Inzwischen ist es spät geworden, dafür ist Frankreich ja bekannt, dass man bis drei Uhr nachmittags vom Assistenten hört, ‚elle vient de s’absenter‘, sie ist gerade zu Tisch, und die Kollegen essen bereits ihren Lunch anderswo. Diese hier im Cap Eden Du Roc, das alleine eine Küchenreise wert ist, und am Nebentisch Javier Bardem, von dem man man meinen könnte, der solle mal zum Frisör. Aber auch er muss etwas essen, und es scheint ihm wohl zu bekommen. Cannes liegt da eher im Hintergrund.

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Auch nach über 20 Jahren Cannes bin auch ich nicht immun gegen die Aufregung, die die Begegnung mit den echten Stars mit sich bringt. Trifft man sie allerdings persönlich, sind sie, ach, Sie ahnen es schon, wie Sie und ich. Die stehen morgens auf, putzen sich die Zähne, gehen zu Arbeit, abends ein Bier, und ab ins Bett. Und eben, mittags leckeres Mineralwasser, wie man sieht. Ach ja, und ein Rosé. Auch dazu später mehr. Die wirklich berühmten, also die, die wir alle kennen, sind alle hochprofessionell (sonst wären sie nicht wirklich berühmt). Wenn Susan Sarandon die rote Treppe hinaufgeht, für alle ein Lächeln, eine Minute in diese Richtung, zwei Schritte weiter, dann eine Minute in die nächste Richtung, dann ein paar Fragen der richtigen Journalistin beantwortet, und dem Publikum holde zugewinkt, das ist getimet, geübt, freundlich, effizient. Respekt.

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Und Leute mit tollem Haar gibt’s überall.

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Mein Lieblingsrestaurant in Cannes liegt auch an der Croisette, aber es hat einen modernen, fast asiatischen Touch und ist doch durch und durch französisch. Nichts Außergewöhnliches aber das richtig, und genau das tut hier so gut: Le Voilier.

Um anzufangen gibt es ein wunderbares Ceviche vom Wolfsbarsch, mit frischem Koriander und Ingwer. Eine gute Portion, nicht zu viel, nicht zu wenig, und eine herrliche Schärfe. Heute muss es aber auch der Klassiker sein, die Foie Gras. Sie wird begleitet von einer getrockneten, in Wein eingelegten Feige, und Crema di Balsamico. Die Leber ist sanft, würzig und wunderbar, der Toast knusprig und warm, und die Süße der fruchtigen Begleiter kreieren einen ganzen Bogen von Geschmäckern der mich vergessen lässt, vor dem Reinbeißen ein Foto zu machen.

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Inzwischen weiß die freundliche Belegschaft des ‚Segelboots‘ (so die wörtliche Übersetzung des Lokalnamens) schon bei der Reservierung, dass der gekühlte Sancerre bereitgestellt werden muss. Dieser Wein, an diesem Ort, macht mich und meine Tischgesellen immer sehr, sehr glücklich. Er hat die richtige Würze, ist trocken mit einer Note von Blumenwiesen, und am nächsten Morgen nicht nachteilig in Erinnerung. Und da es 2016 ist trinken wir diesen weißen Wein mit Fisch, und Fleisch, und manchmal auch zwischendurch zum Apéritif, denn der kann das.

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Im Voilier kann man auf viele Arten glücklich werden mit dem Hauptgang, heute esse ich die Spaghetti mit Gambas. Das Meer liegt gleich gegenüber, Italien ist nicht weit, und manchmal habe ich die Vermutung, die Südfranzosen können so etwas fast besser. Die Shrimps sind frisch und fein, die Pasta genau richtig gekocht, und die Sauce ist scharf und mild zu gleich.

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Zum Nachtisch wieder ein Klassiker, einmal ‚pro Cannes‘ muss das sein: Profiteroles. Windbeutel mit Vanille-Eis gefüllt, mit Schlagsahne, und getränkt in viel Schokoladensauce. Und da ich kein Süßer bin, wie bereits gestanden, kommen hier viele Löffel zum Zug, und jeder am Tisch beendet das Essen mit einem etwas dümmlichen, da glücklichen Grinsen.

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Während dem Filmfestival von Cannes (und jedem anderen großen dieser Art), ist es manchmal schwierig, einen geregelten Tagesablauf zu haben. Hier zum Beispiel werden die großen Filme für das kommune Volk der Festivalarbeitenden um 8:30 in der Früh‘ gezeigt. Das klingt barbarisch, geht aber einfach nicht anders, die Tage sind zu voll, und sich um halb acht morgens (auch mit einer der vielbegehrten Einladungen) in die langen Schlangen der Wartenden einzureihen hat auch etwas Heroisches. Jeden Morgen schauen über 5000 Leute so einen Film, in der Grande Salle Lumière die Wettbewerbsfilme, im Debussy Saal die Filme aus der Sektion Un Certain Regard.

Und so kommt es bei diesem manchmal fast umgekehrten Tagesrhythmus, dass man manchmal mitten am Tag Hunger bekommt, oder Durst, wenn gar nicht die Zeit dafür ist. Was ich dann immer raten kann ist das Dachterrassenrestaurant mit Bar Le 360° im Radisson Blu (früher Sofitel) am Vieux Port für einen kleinen Snack, oder auch ein Glas des herrlich perlenden Champagners, der ganz einfach alleine für sich den Moment bestimmt, und rettet. Die Aussicht hat bestimmt auch etwas damit zu tun.

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Dann aber kommt unweigerlich der Moment, wo ich kein Restaurant mehr sehen kann, keine Menschen mehr treffen will, wo das endlose Reden und Zuhören für einen Moment aufhören müssen, und wo ich, inspiriert vom Monoprix, weil ich immer irgend etwas vergesse, einzupacken (Socken, Schirm, Sonnencrème), einen Wein kaufe, eine Pâté, Käse, und das Baguette de France, natürlich (nicht aus dem Kaufhaus, versteht sich).

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An der Auswahl scheitert der Abstecher in die Bescheidenheit nicht, auch hier hat Frankreich die Klasse, die ich mir wünsche, und doch oft leider vermissen muss. Ein paar Sardinen, frische Früchte, manchmal ist das Leben auch ganz einfach, und die Kulinarik auch.

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Am nächsten Abend schaffe ich es wieder, ausser Haus zu essen, und gehe zu Al Charq, dem besten Libanesen am Ort (es gibt ihn auch in Paris). In einer kleinen Pause von der französischen Küche genieße ich die hervorragenden Spezialitäten aus dem Nahen Osten, wenig Fleisch, viel Gewürz, und alles richtig gemacht. Dazu ein Arak, und der Abend ist gerettet. Am Nebentisch denkt Jim Jarmusch wohl dasselbe, sein neuer Film läuft am nächsten Tag im Wettbewerb (ich bin leider eingeschlafen dabei).

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Und so neigt sich wieder ein Tag dem Ende zu, hungrig geht keiner ins Bett in dieser Stadt, aber zelebriert wird hier in Frankreich für einmal nicht die Kunst in der Küche, sondern die auf der Leinwand, und das mit großer Leidenschaft. Ich lasse es gelten, ich kann gut essen in Cannes, wenn ich Zeit und Aufwand nicht scheue, und auch wenn’s ganz einfach ist, und schnell gehen soll, ist die Qualität hier auf einem Niveau, von dem andere Länder nur träumen können. Aber irgendwann komme ich zurück nach Frankreich nur fürs Essen, auf eine richtige Küchenreise.

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