Historisches mit zwei Michelin-Sternen
Das Flugzeugessen ist schuld, und der Zufall. In der Lounge vor dem Abendflug nach London City knurrt mein Magen, doch weder auf die Lounge-Snacks noch auf das „Zahnlosen-Sandwich“ im Flieger war meine Lust sonderlich gross.
Also kurz auf Velocity (übrigens eine tolle Restaurant-App für London und einige amerikanische Städte) gecheckt, was es denn spätabends in der Stadt an der Themse noch zu essen gäbe. Und siehe da, das Dinner by Heston Blumenthal hat noch einen Tisch. Ich buche, auch wissend, wie lange im Voraus man dort normalerweise reservieren muss.
Dinner im Restaurant Dinner by Heston Blumenthal in London (UK)
Und komme nicht einmal drei Stunden später im Londoner Mandarin Oriental am Hyde Park an, dort befindet sich das Restaurant. Gute Hotels leben von ihrer Lobby, doch der Eingangsbereich des Hotels ist eng und wenig einladend. Auch im Restaurant wirkt es zunächst laut und zum Teil eng bestuhlt.
Doch das Essen wird mich durchaus entschädigen. Alte Gerichte neu interpretiert ist hier das Motto. Und was an Ritteressen der 1980er erinnern mag, wird hier allerdings auf Michelin Zwei-Sterne-Niveau zelebriert.
Earl Grey Tea cured Salmon
Das erste Gericht, der in Earl Grey Tea gebeizter Lachs ist wunderbar zart, fein im Geschmack und von bester Qualität. Die Küche kombiniert ihn mit einem Zitronensalat, der eine schöne Lebendigkeit und Säure beisteuert, Sauerklee, einem ‚Gentleman’s Reliesh‘ (Anchovipaste) und ein wenig Kaviar aus Exmoor in Devon. Das gibt ein feines, schön abgerundetes Gericht. (8/10)
Meat Fruit
Zu den meistfotografierten Gerichten gehört die „Meat Fruit“, eine als Mandarine getarnte Frucht aus einem Parfait von Hühnerleber, umhüllt von einer dünnen Schicht mit Mandarinengeschmack; dazu frisch gegrilltes Brot.
Nicht erst in der Molekularküche, sondern schon um das Jahr 1500 hat man Gäste mit solcherlei „Überraschungseffekten“ beeindruckt. Und das Leberparfait war gut, die „Haut“ gab Säure und Fruchtgeschmack, wenn auch die Proportionen zu sehr in Richtung Leber geschoben waren.
Ein schöner Gang, dessen optische und fotofreundliche Wirkung allerdings noch grösser ist als der geschmackliche Eindruck. (7/10)
Braised Celery
Der nun folgende vegetarische Gang, eine geschmorte Sellerie mit Pfifferlingen, Apfel-Cider und Parmesan gefiel durch abwechslungsreiche Geschmäcker und Konsistenzen – erdige Noten, Säure, Salzigkeit, Süsse, Sämigkeit. (6+/10)
Roast Iberico Pork Chop
Ausgezeichnet dann das Iberico-Schwein – perfekt gebraten, wohlschmeckendes Fett, intensive Röstaromen. Der Kohl war angebraten und keinesfalls eindimensional, die Sauce Robert intensiv und die Komponenten schön verbindend. Das separat gereichte Kartoffelpüree intensiv und sündhaft schwer, für mitteleuropäische Präferenzen vielleicht zu fein püriert und damit klebrig. (8/10)
Chocolat Bar
Das Schokolade-Dessert war mit Passionsfrucht und einer Ingwer-Eiscreme kombiniert – wohlschmeckend, wenn auch nicht aussergewöhnlich spannend. (6+/10)
Tipsy Cake
Die Tipsy Cake (c.1810) ist wohl ähnlich oft in Blidern festgehalten wie die Meat Fruit und noch mehr von Gästen und Bloggern hoch gelobt. Und somit komme auch ich nicht herum, die knapp 45 Minuten Wartezeit in Kauf zu nehmen, um mir ein Urteil zu bilden.
Der in einer metallenen Cocotte an den Tisch gebrachte Kuchen hat bei der Zubereitung eine Menge Geschmack-gebender Butter, Brandy und Sauternes aufgesogen. Dazu gibt es leicht karamellisierte Ananas mit viel Süsse und einer schönen Säure.
Das ganze wirkt ähnlich schwer wie böhmische Buchteln und ist geschmacklich auch nicht viel differenzierter. Den Sautern geniesse ich lieber im Glas, die Butter leicht gesalzen und aus der Normandie; und Kalorienmangel habe ich heute auch keinen zu bekämpfen. Hier übertreibt das Internet in seiner Euphorie, in diesem Restaurant gibt es spannenderes zu entdecken!
Unser Küchenreise-Rating
Das Dinner by Heston Blumenthal ist mehr als ein Zweitrestaurant des mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Fat Duck, es hat eine eigenständige Küchenlinie und zelebriert die britische Küche vergangener Jahrhunderte auf modernisiertem und hohem Niveau.
Das ergibt gut abgestimmte Gerichte mit vorzüglicher Produktqualität und präzise gearbeitet, vielleicht nicht immer mit dem Wow-Effekt (der stellt sich noch mehr bei den Fotografien in verschiedenen Blogs und Foren ein), doch von sehr gelungener Art. Im ersten Moment wirkt das Restaurant laut und etwas eng, das wandelt sich im Laufe des Abends jedoch hin zu einem „lebendig“ mit wohltuend bunt gemischtem Publikum und tollem Service. |
Restaurant Dinner by Heston Blumenthal, London (UK)
Bewertung Essen (?): | 7 / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 4 – gerne wieder |
Guide Michelin: | ** |
Gault Millau: | – |
Gusto: | – |
Küchenchef: | Heston Blumenthal / Ashley Plamer-Watts |
Adresse: | Hotel Mandarin Oriental Hyde Park 66 Knightsbridge SW1X 7LA London |
Telefon: | +44-20-7201 2723 |
Web: | dinnerbyheston.com |
Kosten: | nicht mehr verfügbar |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |
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Ich finde, dass das Internet keinswegs übertreibt: der Tipsy Cake ist unfassbar „lecker“, denn er kombiniert alles, was dick und zufrieden macht: Alkohol, Zucker, Getreide und Fett. Und das perfekt zubereitet. In der Tat ist der Cake aber wenig differenziert, was mir beim Genuss aber herzlich egal war 🙂
Das ist eine Aussage! Und ja, der Genuss ist das wichtigste! Persönlich bin ich nicht so der Fan dieser Art von Süssem, doch solange man mir meine Schokolade lässt, gönne ich die Tipsy Cake jedem 🙂