It’s all about the product
Eine Bar, ein Restaurant zu eröffnen, davon träumen viele. Doch ein Betriebswirt ist noch lange kein guter Gastwirt, ein charmanter Plauderer kein guter Barkeeper und ein fundierter Restaurantkritiker kein guter Koch.
Und ein Blogger? Das sind doch jene, die mit viel Euphorie über Essen schreiben, die harten Seiten des Gastgewerbes aber so gar nicht kennen und verstehen! Doch es gibt sie, die Ausnahme, und dieser vom Blogger zum Restaurateur gewachsene hat nicht nur den Guide Michelin (ein Stern), sondern auch Küchenreise (Potential auf zwei Sterne) überzeugt.
Unser Dinner im Restaurant Hedone in London
Für die Anreise nach Chiswick – in diesem Londoner Vorort liegt das Restaurant – möge man genügend Zeit einplanen. Im Abendverkehr benötigt ein Taxi vom Zentrum schon mal eine Stunde hinaus in die Vorstadt. Hierher kommen nur Wissende: In der High Road von Chiswick befindet sich Spirituosenladen, Pizzadienst und Möbelgeschäft; dass zwischen diesen ein Sternerestaurant aufkocht, würde man von draussen nicht vermuten.
Doch von Äusserlichkeiten soll man sich ja nicht blenden lassen, es sind die inneren Werte, die zählen. Am besten kann man diese Werte am Bartresen mit Blick auf die offene Küche, neudeutsch auch Chef’s Table genannt, kennenlernen. Für ein Glas Champagner ist dort schnell gesorgt, und Chef Mikael Jonsson eilt sodann herbei und preist in zurückhaltender Art, doch mit feurigem Blicke das Carte Blanche Menü wie auch die Weinkarte an. Ja, Mikael Jonnson, das ist der ehemalige Restaurant-Blogger. Nach einer Kochausbildung hat der in Schweden gebürtige Johnsson aufgrund von Allergien dann eine Karriere als Rechtsanwalt eingeschlagen. Hat lange den einflussreichen Food-Blog Gastroville betrieben. Um, nach Verbesserung seiner gesundheitlichen Situation, dann seinen Traum wahr werden zu lassen und in den Räumen eines ehemaligen libanesischen Nachtklubs sein Restaurant zu eröffnen. Und während der Gast neugierig das Geschehen in der Küche beobachtet, startet auch schon ein kulinarisch aussergewöhnlicher Abend.
Ein starker Einstieg ist der zitronige Chip mit Foie Gras und rohem Champignon. Der Chip gibt Säure und Lebendigkeit, der Schmelz der Gänseleber und die erdigen Noten des Pilzes passen grossartig dazu. Überraschend stark. (8/10)
Die Cornetti mit Salade Niçoise sind fein abgestimmt und erfreuen den Gaumen. (7+/10)
Ein ‚umgekehrtes Sushi‘ – Reisschaum mit Wasabi, schwarzem Sesamcracker und einem Noriblatt umhüllt, darauf eine dünn aufgeschnittene Muschel: Im Mund meint man das Meer zu schmecken, die Frische der Muschel und die leichte Schärfe ergeben ein schönes Zusammenspiel. (8+/10)
Kühl dann das Fleisch der Auster, begleitet von einem Austernblatt (Oysterleaf) und Apfelschaum. Die Kombination mag einfach sein, doch sie entfaltet in ihrer Frische und durch die Qualität der Zutaten eine beeindruckende Wirkung. Apfel im Meer – jodig und frisch die Meeresfrucht, grossartig dazu der Apfelschaum, intensiv die Aromen des Austernblattes. (9/10)
Umami pur, das ist der Parmesan-Flan mit Umamigelee und Chia-Samen. Etwaige Gedanken an Superfood & Co bei letzterer Zutat kann man beruhigt beiseite lassen: Hier geht es um Genuss und nicht um profitorientierte Sektiererei, und der Genuss gelingt. (8/10)
Das hausgemachte Brot mit Butter und Salz ist für Londoner Verhältnisse sehr gelungen.
Im nächsten Gericht kombiniert die Küche Datterini-Tomaten aus Sizilien mit Rucola und Pfirsich. Ein Flirt mit den Süssen Verlockungen des Lebens quasi, kontrastiert von einem Hauch an Bitternote. Doch in Summe wirkt die Komposition zu einseitig-süss. (6+/10)
Doch schon das nächste Gericht erfreut wieder mit sehr gelungener Abstimmung der Zutaten: Langsam und sorgfältig pochiertes Krabbenfleisch kombiniert die Küche einem Umami-reichen Sud, Haselnuss-Mayonnaise, Dill und ganz kleinen Würfelchen vom Granny Smith.
Die Produktqualität der Krabbe ist vorzüglict, die Haselnuss gibt dem Gericht eine erdige Note. Die Apfel-Würfelchen im Sud lassen immer wieder Frische und Säure aufblitzen. Grossartig! (8+/10)
Als nächstes folgt eine Jakobsmuschel mit Zitronenbutter und Sojasauce. Wieder überzeugt die Meeresfrucht mit Frische und Qualität, das Ganze hat durch die Butter eine schöne Sämigkeit, doch in Summe wirkt das Gericht eindimensional und eher auf der salzigen Seite. (6+/10)
Bleiben wir beim Thema Produktqualität: Das Fleisch des Hummers wie auch seiner Scheren kann überzeugen, ist nicht langweilig oder gar übermässig fest wie so oft. Weisse Mandeln, und eine Kokosnusssauce mit Duft nach Zitronengras geben dem ganzen eine asiatische Note, die Zucchini erdet. (8/10)
Auch das zarte Pulled Pork mit feinen Räucheraromen, kombiniert mit einem Püree vom Baked Potatoe, australischem schwarzem Trüffel und Wasserkresse gefällt. (8/10)
Beim nun folgenden Gang, vermutlich eine Ente mit Kirschen, sind die Notizen leider verloren gegangen; daher das Bild ohne weiteren Kommentar.
Als Käsegang dann ein Hobelkäse – ja, das schmeckt ja schon nett, doch eine extra Bewertung gibt es dafür nicht.
Sehr fein wird es dann wieder beim Dessert: Das erste widmet sich der Himbeere – eine kalte Creme, wohlschmeckende Früchte, ein Hauch von Zimt und eine dünne Zuckerscheibe verschmelzen zu einem ansprechenden Ganzen. (7+/10)
Der „Schokoladenriegel“ ist aus feiner Schokolade mit Sesampaste, die Textur wird durch eine knackige Schicht unten sowie kleine Stückchen dunkler Schokolade bereichert. Darauf befindet sich Sauerkirscheneis. Was optisch einfach wirkt, ist ein Feuerwerk an Texturen, zurückhaltender Süsse, Säure und Lebendigkeit. Grossartig. (8+/10)
Ein paar feine Petit Fours zum Kaffee sind dann eine gute Vorbereitung für eine lange Fahrt zurück in das Zentrum von London.
Unser Küchenreise-Rating
Die Produktqualität steht im Mittelpunkt: Sprüche wie dieser finden sich auf fast jedem Website oder Marketingmaterial gehobener Restaurants. Mikael Jonsson stellt die selbe Aussage in den Mittelpunkt, doch hier wird das Motto auch wirklich gelebt. Die Küche zeigt, wie durch aussergewöhnliche Qualität und Frische der Zutaten einzigartige Speisen kreiert werden können. |
Die Gerichte sind fein abgestimmt, nicht übermässig komplex und basieren auf einer überschaubaren Anzahl von Geschmäckern. Technisch perfekt umgesetzt kommt im Carte Blanche Menü eine Reihe von kleinen Gängen an den Tisch (oder den Bar-Tresen) und begeistert immer wieder.
Chef Jonsson berät auch mit viel Liebe und Kennerschaft über passenden Wein; auch exquisite Flaschen aus dem Keller werden zum Teil auf Wunsch anteilig ausgeschenkt; der Gast zahlt dann nach ‚Verbrauch‘. Und das gesamte Team überzeugt mit Freundlichkeit und spürbarer Begeisterung am Angebotenen.
Im Guide Michelin ist das Restaurant mit einem Stern ausgezeichnet. Vieles der angebotenen Speisen kann sich an Klarheit, geschmacklicher Kombination und Produktqualität an höher bewerteten Restaurants in London messen.
Restaurant Hedone in London(UK)
Bewertung Essen (?): | 8 / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 5 – unbedingt wieder |
Guide Michelin: | * |
The Good Food Guide: | 8/10 |
The World’s 50 Best Restaurants: | 60/100 |
Küchenchef: | Mikael Jonsson |
Adresse: | 301-303 Chiswick High Road London W44HH |
Telefon: | +44-20-8747 0337 |
Web: | hedonerestaurant.com |
Kosten: | Card Blanche Menü GBP 125,- Gesamt ca. GPB 250-300 / Person (alles +12.5% Service Charge) |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |
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