Im ersten Jahr ein Stern: davon träumen viele Restaurants. Andreas Rieger und seine Crew haben das geschafft. An einer zugigen Ecke in der Mitte von Berlin kann man selber schauen, wie das passiert ist. Wir waren schon einmal an der Fensterfront vorbeigekommen und haben hineingeschaut: hell und modern eingerichtet, schöne Holztische, viel Luft, viel Geschmack. Wir freuen uns auf etwas Besonderes, auf eine neue Küche, auf Modernität, gekoppelt mit Gastfreundschaft. Leider werden wir nach ein paar Stunden enttäuscht das Lokal verlassen, und nicht nur das. Es scheint, daß einige von uns die Modernität dieser Küche nicht gut vertragen. 

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Die Türe finden wir neben dem großzügigen Fenster, und freundlich werden wir durch die leeren Räume in den hinteren und unteren Teil geführt. Im einsunternull wird mittags im Licht gegessen, und abends im kellerartigen Untergeschoß. Alles ist von bestem Geschmack, unser Tisch schön positioniert, und auch als die Mäntel nicht abgenommen werden, bleiben wir gespannt und freuen uns.

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Die Karte liest sich wie ein minimalistisches Gedicht, die Preise sind fair – im Vergleich zur Welt. Für Berlin sind sie stolz. Natürlich haben wir den Abend selber bezahlt, auch Gastbeiträger auf Küchenreise lassen sich nicht einladen. Die Anzahl der Gänge bestimmt man selber, wir sind zu dritt und nehmen alle von allem, damit wir alles probieren können.

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Es geht los mit Gebackenem, wunderbar leckeres Brot und feiner Butter, und dann mit Gemüse, still und fließend. Das Brotmesser auf seinem Brettchen ist fast zu schön zum Brauchen, das Gemüse sieht auch hübsch aus.

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Es besteht aus Kürbis und Karotten und schmeckt fruchtig erdig. Doch der Geschmack der Karottensuppe ist leider fad, wir wünschen uns Salz, schon jetzt, und erinnern uns an Saftenkuren. Kein gelungener Einstieg, auch wenn Wirsing mit Mohn, trocken serviert, angenehm knuspert im Mund.

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Auf den Tisch kommt jetzt ein Landkaffee: Die Zichorie darüber gestäubt, die Zwergquitte unauffindbar. Die Chicorée ist bitter, wahrscheinlich sehr gesund, und liegt – noch viel gesünder – auf einer laktosefreien Milch. Wir sind verwundert, doch immer noch guter Dinge, aber schmecken tut das nicht. Später auf den Fotos überrascht die Form immer wieder, die ist wirklich originell und hübsch anzusehen. Aber eben, das ist kein Fisch.

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Das Champignonbrot hatten wir uns auch anders vorgestellt, aber wahrscheinlich haben wir einfach nicht genug Fantasie  oder Offenheit. Auch hier, und nicht zum letzten Mal heute Abend, liegt das Gemüse auf einem Püree, in diesem Fall einer Brotmasse mit Champignoncreme. Verstreut über die Champignons sind Salzflocken, das Zwiebelgewächse und das Goldleinöl schmecken wir nicht wirklich hervor. Alles in allem ist das ein frischer Gang ohne sehr viel Gehalt.

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Die Spanrippe vom Rind hingegen ist lecker und gehaltvoll, Sousvide zubereitet und gebraten und sehr, sehr zart. Die Kartoffeln, wieder fein gescheibelt und auf einer Masse liegend, schmecken lecker. Drunter, so erklärt uns die Karte, oder auch darüber, ist Kamille.

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Der nächste Teller mit runden Gemüsescheiben heißt Weiße Bete, Haselnußmilch und eingelegter Spargel vom Frühjahr. Es schmeckt sauer und mehlig, ja ein bißchen nach Schwarzwurzel, welche aber nicht Teil des Gerichtes ist. Das ganze wirkt bemüht auf uns, ja langsam anstrengend. Ud so senkt sich die Stimmung mit jedem Gang, der so viel probieren will und auf den Gast dann doch fast geizig wirkt. Wir sind hier am falschen Platz, es tut uns leid.

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Auch die Schmorziebel, Brühe und Fichte liegen uns nicht so wirklich. Eine sehr salzig wirkende Brühe, doch sie hat ein bißchen Struktur, doch auch hier, so scheint uns, kaum Geschmack. Dazu ein Hauch von Wald, und das Ganze hübsch anzusehen – dies erfreut uns mehr als beim Vorgänger.

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Saibling, Asche und Rapsöl – endlich, dies ist ein herrlicher kleiner Gang, einem feinen Stück Saibling, umhüllt mit Rauchasche, ergänzt mit Waldmoos und einem Hauch Karotte in einer sehr guten Emulsion.  Wunderbar, und warum nicht gleich? Warum nicht mehr so, in dieser Art, dem Fisch treu, zwar modern und anders, aber dennoch gehaltvoll?

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Der braune Hintergrund auf dem Teller ist die Sauce… fermentierter Knoblauch wird uns angekündigt. Kohltopf, Liebstöckel und Knoblauch, so heißt dieser Gang. Er kombiniert Federkohl, Rotkohl, Grünkohl und Schwarzkohl. Wirsing steuert eine angenehme leichte Säure bei.

Das ist kein schlechter Gang, doch ist aber auch nicht viel mehr als ein Teller Kohl, puristisch sparsam angerichtet und wieder so nackt, daß der Genuß hinter dem Purismus zurückbleibt, gar auf der Strecke bleibt. Das Konzept der natürlichen und lokalen Saisonküche geht hier, so scheint uns, nicht auf. Wo ist die Jagd nach dem guten Geschmack? Es scheint, die Küche verkrampft sich hier beim Nichtloslassen von dogmatisch-lokalen Grundsätzen.

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Ach ja, ein Wort zum Wein: Die Weinkarte ist in fünf Teile unterteilt die weder nach Herkunft noch nach Traube oder Verarbeitung sortiert sind.

Sie sind ‚Spaß am Leben’, ‚Boden und Region’, ‚Naturburschen’, ‚Besondere Momente’ oder ‚Lieblich und geistreich’. Wir sind dadurch mehr oder minder verloren und vertrauen der Weinbegleitung des Menüs.

Diese ist, wie könnte es anders sein, natürlich durchgehend nachhaltig und biologisch und bestimmt nur von glücklichen Reben geerntet (Irnoniemodus). Sie bleibt uns als abenteuerlich und alle moderne Trends wie Naturweine spielend, aber nicht wirklich als lecker in Erinnerung. Der Sommelier als Lehrer, und nicht bereichernder Begleiter, so fühlt sich das für uns an: Gewagt, und leider nicht gewonnen.

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Erinnerungen an Kindertage: Johannisbeeren und Milch verstecken sich unter einer Zuckerscheibe die im hübschen Rosa strahlt. Auch hier bleibt aber das Geschmackserlebnis für uns auf der Strecke, nicht süß genug, nicht sauer genug, ein bißchen beliebig fast.

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Das zweite Dessert heißt ganz lyrisch Drei Tage gekochte Beete, Aroniabeere und Rose. Eine Crumble-Konsistenz umgeben von einer Paste ohne für uns erkennbaren Geschmack. Jetzt sind wir wirklich frustriert, fühlen uns irgendwie wie dumme Banausen und kommen einfach nicht auf einen guten Punkt.

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Auch Gesüßtes mag uns nicht mehr trösten,  lebkuchenartige Kekslein mit Rote-Beete-Glasur, zurückhaltend und doch klebrig, nicht unfein, aber nicht raffiniert, innovativ oder mutig.

Wir haben in den letzten Monaten ein paarmal für die Kuechenreise als Gast berichten dürfen von kulinarischen Erlebnissen am Wegesrande, und hoffen, daß wir das trotz der Enttäuschung in diesem Berliner Lokal wieder einmal dürfen. Im Einsunternull war das Konzept so wichtig, daß diesem – so schien uns – alles geopfert wurde. Der Geschmack, die Gastfreundschaft, die Großzügigkeit.

Schade um das tolle Potenzial, den schönen Ort, und um den großen Ehrgeiz des Teams. Wir hoffen, daß das Restaurant weiterhin wächst und sich entwickelt, das die Dogmatik und protestantische Strenge einer spielerischen Leichtigkeit und Lust am Genuss weicht. Wir werden bestimmt wieder einmal einkehren, hoffend, daß wir einfach einen schlechten Abend erwischt haben.

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Restaurant einsunternull, Berlin (D)

Bewertung Essen (?): 6 / 10
Küchenreise-Rating (?): 2 – kaum wieder
Guide Michelin: *
Gault Millau: 15 / 20
Gusto: 7 Pfannen
Küchenchef: Andreas Rieger
Adresse: Hannoversche Strasse 1
D-10115 Berlin
Telefon: +49-30 27 57 78 10
Web: einsunternull.com
Kosten: Menü: 6 Gänge EUR 77 bis 10 Gänge EUR 117
Angekündigter Besuch (?): Nein
Einladung (?): Nein
Extras (?): Nein
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung.
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2 Kommentare

  1. Hallo,
    Ich direkt um die Ecke in Berlin und habe mich immer gefragt, was das für ein neuer Laden ist. In Mitte bin ich von den vielen neuen, aber auch schnell wieder verschwindenen Läden einiges gewohnt. Am besten gefällt mir bei diesem Bericht gefällt mir die Spanrippe und das wunderschöne Brotmesser!
    Alles andere sieht dann doch eher enttäuschend aus..

    Aber trotzdem Danke für den guten Bericht und die vielen schönen Fotos!

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