Eines Mittags im Steirereck
Regelmässige Leser dieses Blogs wissen, dass meine Liebe zum Steirereck früh entflammt ist, in vergangenen Jahren jedoch abkühlte (Lies auch: Lass uns gute Freunde bleiben…)
Ein spontaner à la Carte Lunch vor Kurzem hat mich wieder versöhnlich gestimmt. Nicht nur wegen dem Vanillekipferl-Mann, aber auch.
Das Wiener Wetter war wie üblich windig, doch wunderschön, vor dem Eingang des 2014 umgebauten Restaurants strahlte ein Weihnachtsbaum, die Wintersonne erleuchtete durch hohen Fenster die modernen Räume des Restaurants.
In meiner Erinnerung war der kulinarische Stil des Steirerecks ‚überkandidelt‘ geworden; Die auf den Kärtchen zu jedem Gang erläuterte Liste der besonderen, sonst nicht mehr gebräuchlichen Zutaten lang und immer länger, und diese natürlich sehr lokal als Kontrast zum kerosinschwanger herbeigeflogen, oft internationalen Publikum.
Und am Teller hiess es dann Saft statt Kraft, die Präsentation der lokal-exotischen Zutaten wurde nicht von kraftspendenden Saucen oder Röstaromen, sondern von leichtgewichtigen Gemüsesäften mit dem Kunst-Marketingnamen Succo begleitet.
Doch am Ende meines Lunches werde ich sehr positiv überrascht sein.
Lunch im Restaurant Steirereck in Wien
Eine Reise durch Österreich und darüber hinaus
Der Lunch startet mit einer Vielzahl von Kleinigkeiten, einer Reise durch Österreich und darüber hinaus. Ob Bröselkarfiol, Hechtnockerln oder Kopfsalat, alle Miniaturen sind spannend modernisiert, wunderbar und komplex abgeschmeckt, kraftvoll, in Summe ein grosser Genuss! (8+/10)
Danach fährt der Brot-Andi Andreas Djordjevic mit seinem phänomenalen Brotwagen vor und führt den Gast durch das vielfältige Angebot. Kenner wissen – das Blunznbrot (Blutwurst-Brot) im Steirereck ist das allerbeste auf der ganzen Welt!
Wildschwein-Kopf mit Purple Haze Karotten, Ananas, Radichcio Tardivo & Buchweizen
Das dünn aufgeschnittene Fleisch der Wildschweinkopf-Sulz befindet sich auf roh marinierten Scheiben der Purpel Haze Karotte, dazu fermentierter Saft der Karotte, glacierter Radicchio Tardivo, in Ananas-Succo und Senföl marinierter Stangensellerie, Ananassenf und knusprigem Buchweizen.
Im Mund ergibt sich eine wunderbare Vielfalt von Säure, Schärfe, Bitternoten, Süsse und Wärme, der Buchweizen steuert texturelle Abwechslung bei. Ein komplexer, doch wunderbar abgestimmter, ganz grosser Gang! (9/10)
Flusskrebse mit Melanzani, Kokos & Schönbrunner Zitronenblatt
Beim leider nicht fotografisch abgebildeten Gang werden in Kokoswasser kurz gegarte Flusskrebse mit einer Creme von der Flusskrebsleber, mit Rosa Bianca Melanzani, Limetten und Krebsen-Kokossaft mit Zitronenblatt-Öl kombiniert.
Eine filigrane Kombination mit einem Tick Schärfe, lebendiger Säure, Knackigkeit – fast machen die grandiosen Beilagen hier den Flusskrebs zum Nebendarsteller. (8/10)
Kalbs-Herzbries mit Romanesco, Schopftintling & Knollenziest
Das Kalbs-Herzbries würde mit Süssholz und Langpfeffer glasiert und ist mit Romanesco und einem intensiven Kalbssaft kombiniert. Auf einem zweiten Teller wird dazu knackiger Knollenziest gereicht. Ein guter Teller, wenn auch nicht ganz so komplex wie die vorherigen. (7+/10)
Affinierte Käse aus unserer Meierei
Nun steuert Franz Stranz den Käsewagen zum Tisch. Unverändert famos ist die Breite und Tiefe der angebotenen Käsesorten, man sagt, dass im Haus etwa 120 Sorten reifen, davon mehr finden mehr als 60 ihren Weg am optimalen Reifezeitpunkt auf den Käsewagen.
Und schon wie zu Zeiten von Herbert Schmid, ehemals der erste Käsesommelier im Steirereck, welcher wohl damals die Wiener mit der faszinierenden Welt des gereiften Käses bekannt gemacht hat, hat der Käsewagen wieder eine Lade für die „Stinkekäse“, die intensiv duftenden Exemplare. Nicht nur aus Reminiszenz muss mein Käseteller natürlich auch einen Vertreter aus dieser Lade haben!
Java Kaffee Sud mit gelben Datteln, Zwetschken & Zimtblüten
Beim Dessert, dem Java-Kaffee Sud mit gelben Datteln, Zwetschken und Zimtblüten haben sich seit meinem letzten Besuch etwas die Proportionen und die Anrichteweise geändert, das den Gang begleitende Dattel-Zwetschken Sorbet wird im Siebträger einer Espressomaschine serviert.
Hauptdarsteller ist weiter fein gemahlener und gebackener Java Kaffee mit Bitterschokolade und einer Kaffeecrème, dazu ein Milchschaum mit Zimtblüten und karamellisierter Zwetschkenbrand. Geschmacklich wie texturell eine grossartige und sehr eigenständige Kreation, welche mich heute trotz unveränderter Rezeptur noch einen Tick mehr überzeugt als beim letzten Mal. (8+/10)
Petit Fours
Nun kommt der dritte Wagen des Mittags angefahren, und es ist jeder des Vanillekipferl-Mannes. Weihnachtlich-märchenhaft wälzt er das frische und schmackhafte Kipferl in der Zuckerschicht, platziert es sorgfältig auf einem Teller und überreicht es mir gemeinsam mit einer Schneekugel, welche einen Tannenzweig und, wie könnte es anders sein, Vanillekipferl enthält.
Ich erfreue mich am Rieseln des Schnees in der Kugel wie auch am Geschmack des Kipferls, bevor ich noch mit einer Armada von Keksen und Kugeln zum Kaffee beglückt werde. Für eine Person definitiv zu viel, und doch könnte ich noch ewig weiteressen!
Somit endet ein gelungener Lunch, und ich stelle mir die Frage: Was war diesmal anders? Sicher hat die à la Carte Auswahl der Speisen zum Gesamterlebnis beigetragen. Doch generell wirkt die Küche im Steirereck in sich gesetzter, sie hat sich gefunden und steht selbstsicher über den Show-Effekten. Und ach ja, danke, ich musste die Wortkreation Succo nur ein einziges Mal vernehmen.
Unser Küchenreise-Rating
Die Küche von Heinz Reitbauer ist kreativ und mit einer sehr eigenständigen Linie, die Aromen sind natürlich intensiv und fein abgestimmt. Die Basis für die Gerichte sind oft aussergewöhnliche Zutaten mit lokalem Bezug und von erstklassiger Qualität. Das im Guide Michelin mit 2 Sternen ausgezeichnete Steirereck kocht für eine oft internationale Klientel und verwendet dabei viele Anleihen aus der wiener / österreichischen Küche bzw. der Küche der ehemaligen Kronländer. |
Das Ambiente im ‚neuen‘ Steirereck ist hell und entspannt, der Service überzeugt voll und ganz.
Restaurant Steirereck in Wien (A)
Bewertung Essen (?): | 8+ / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 4 – gerne wieder |
Guide Michelin: | ** |
Gault Millau: | 19 / 20 |
Gusto: | – |
Küchenchef: | Heinz Reitbauer |
Adresse: | Am Heumarkt 2A A-1030 Wien |
Telefon: | +43-1-713 31 68 |
Web: | steirereck.at |
Kosten (Rechnung): | EUR 165 (1 Person) |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |
Blogroll: Was schreiben andere?
Belgian Taste Buds (2017) | Steirereck |
priebeisst (2017) | Steirereck |
Sliverspoon (2017) | Steirereck |
Sehr interessanter Bericht. Auch bei uns war die anfänglich stürmische und über lange Zeit anhaltende Liebe zum Steirereck irgendwann etwas abgeklungen und andere Restaurants in Wien nahmen diesen Platz ein. Seit einiger Zeit trage ich mich bereits mit dem Gedanken, auch im Stadtpark mal wieder vorbei zu schauen. Ich glaube, das werden wir beim nächsten Wien-Besuch nun auch tatsächlich wieder machen…
Danke für das Feedback, Thomas! Ein Abstecher in das Steirereck beim nächsten Wien-Aufenthalt lohnt sich sicher… Ich bin noch nicht ganz sicher, ob die Wahl der à la Carte Gerichte geholfen hat, meine Eindrücke zu revidieren, oder ob das im Menü genau so gewesen wäre, vielleicht muss ich irgendwann auch nochmal hin..
Für mich persönlich ist das Steirereck die Nummer EINS IN Österreich, ob Mittags oder Abends. Diese Performance erreicht noch keiner
Danke, Christian, für Dein Feedback! Welche Gerichte überzeugen Dich besonders im Steirereck?