Im Bahnhofsviertel wiedereröffnet

Die Weine sind übersiedelt, viele Einrichtungsgegenstände am neuen Ort angekommen, und die Bilder und Skulpturen haben dort auch ihren neuen Platz gefunden. Doch kann man die Seele eines Restaurants so einfach transplantieren?

Das Weinsinn hat nach sechs Monaten Pause an neuem Ort im Frankfurter Bahnhofsviertel wiedereröffnet. Und wenn auch Ambiente und Gegend neu sind, so habe ich mich dort genauso wohl gefühlt. Und auch das kulinarische Angebot überzeugt trotz Wechsel in der Küche weiter. Seelentransplantation gelungen!

Dinner im Restaurant Weinsinn in Frankfurt

Im April 2011 habe ich diesen Blog mit einem Artikel über das Weinsinn gestartet. Damals noch mit grässlichen Bildern aus einem alten iPhone und holprigen Texten. Die Atmosphäre, die Küche (damals noch ohne Michelin-Stern), die entspannte Freundlichkeit der Servicemitarbeiter und die spannende und fair kalkulierte Weinkarte hat mir schon damals gefallen. Und so bin ich zum Wiederholungstäter geworden. Betrete nach einigen Besuchen und ein paar Berichten nun zum ersten Mal die neue Location.

Deutlich grösser ist es geworden, das neue Weinsinn. Hohe Räume, grosse Fenster, strenge architektonische Linien, welche jedoch mit warmen Farben, schönen Accessoire und viel Holz sehr angenehm gebrochen werden. Die Freundlichkeit des Services ist unverändert, das ist gut so. Dafür ist die Küche jetzt grösser (ja schon riesig im Vergleich zur engen Arbeitsstätte der Küchenmannschaft am alten Ort) und offen.

Unverändert wird ein Menü mit Wahlmöglichkeiten bei der Anzahl der Gänge und bei einzelnen Speisen angeboten. Gut, für 59 EUR wie vor sieben Jahren ist das 5-Gang Menü nicht mehr zu haben, heute sind es schon 90 Euronen. Doch vergesst nicht, das Restaurant hat sich ja auch zum Michelin-Stern hochgearbeitet, und da ist das ein noch immer wohlfeiler Preis.

Gruss aus der Küche

Schon geht es los – zum Einstieg erfreut mich ein Mini-Burger mit Speck und einem Salatblatt; knackig der grüne Salat, aromatisch der Speck.

Der zweite Gruss, Quinoa mit Schwarzwurzel und Kräutern ist gleichfalls gut gelungen. Mir gefällt, wie die Geschmäcker der Komponenten gut herausgearbeitet sind, und das feine Säurespiel macht die Aromen präsenter.

Kingfish – Avocado, Kokos, Chili

Ungewöhnlich und spannend dann die Kombination von mariniertem Kingfish mit Avocado, Kokos und Chili. Fisch und Kokos, geht das? Klar, und sogar sehr gut! Kleine Kokos-Würfelchen und Chilli sind auf dem marinierten Fisch, Kokoscreme-Tupfer und hauchdünne Kokosscheiben geben dazu abwechslungsreiche Textur wie auch eine geschmacklich interessante Ergänzung zum Gericht. (7+/10)

Junge Erbsen – 64-Grad-Ei, Karotte, geräucherter Tee

Flüssige oder wächserne Eidotter finden sich heutzutage auf vielerlei Karten, und das ist schon gut so. Ei ist ein Wohlfühlgericht. Und so fühle ich mich auch wohl beim nächsten Teller des Abends, einem wachsweichen Eidotter mit jungen Erbsen, süsslich-weichen Karottenstücken und mit einem Sud mit geräuchertem Tee. Die Aromen sind fein ziseliert, ein wenig mutigeres Abschmecken mit einem kräftigeren Aromenbild stünde diesem Gericht jedoch auch durchaus gut, finde ich. (7/10)

Rote Garnele – Zitrus, Chicorée, Basilikum

Bei der Garnele bin ich mir ein wenig unschlüssig, so richtig begeistern kann sie mich nicht. Doch der Star dieses Ganges ist ohnedies der Chicorée mit seinen schönen Bitter- und Röstaromen, kombiniert mit einer wunderbar feinen Bisque mit Zitrus. (6+/10)

Kabeljau – Mandel, Blumenkohl, wilder Brokkoli

Verführerisch dann der wunderbar zarte Kabeljau. Er wird perfekt kombiniert mit Mandeln, Blumenkohl und wildem Kabeljau, in der Sauce erneut dieser leichter Tick Säure, der so wichtig für spannende Gerichte ist. Das Gericht kombiniert wieder feine Aromen, ist  gut abgestimmt und nicht plakativ. Und erneut denke ich, ist sehr gut, könnte jedoch auch einen Tick mehr Intensität vertragen. Muss aber nicht. Hat gemundet. (7+/10)

Rind – Bohnen-Cassoulet, Piquilos

Ach das kommt manchmal in den besten Küchen vor: Das Bürgermeisterstück vom Rind war, sagen wir mal, schon sehr bissfest. Klar, der Fleischgeschmack war wunderbar, aber ein bisserl zarter wäre dennoch schön gewesen. Schon fast grenzgenial sind dafür die Cassoulet mit weissen und grünen Bohnen (klingt so langweilig und war so gut) und die Sauce mit den Pimentos! (6+/10)

Original-Beans-Schokolade – Haselnuss, Liebstöckel

Grosse Klasse ist dann auch der süsse Abschluss: Haselnuss und Schokolade werden in verschiedenen Zubereitungsarten (Eis, Kuchen, dünne geröstete Scheiben) und ergänzt mit Liebstöckel kombiniert. Ich bin ja ohnedies ein Schokoladetiger, doch zwischen Schokolade und einem spannenden schokloadigen Dessert ist halt doch ein Riesenunterschied. Und hier beherrscht man letzteres: Der Geschmack der Schokolade von ‚Original Beans‘ ist intensiv und rund, der Liebstöckel gibt einen Tick kräutige Aromatik, die Texturen und Temperaturen der verschiedenen Bestandteile ergeben ein spannendes Spiel. (7/10)

Ein Espresso und ein paar Pralinen rundet das Menü ab. Lassen mich über das Erlebte nachdenken. Und ich bin froh. Nicht nur der Name Weinsinn, sondern auch die Seele des Restaurants hat ihren Weg in das Bahnhofsviertel gefunden. Weinsinn – Seelentransplantation gelungen!

Unser Küchenreise-Rating

Das Restaurant von Milica Trajkovska Scheiber und Matthias Scheiber ist weitergezogen ins hippe Frankfurter Bahnhofsviertel. Der vormalige Küchenchef André Rickert ist nicht mehr dabei, die Vorstellungen vom neuen Konzept scheinen zu unterschiedlich gewesen zu sein. doch mit Alexandre Sadowcyk wurde erneut ein talentierter junger Küchenchef mit vormaligen Stationen im Jules Verne in Paris, im Per Se in New York, im L’Arnsbourg im Elsass oder im Lafleur und dem Atelier Wilma in Frankfurt verpflichtet.

Einige Wochen nach der Eröffnung läuft das Ganze auch schon gut: Am Samstag meines Besuches ist das Restaurant fast ausgebucht, der Service routiniert und eingespielt und die Küche hat ihre Linie gefunden. Die Speisen sind kreativ, handwerklich sehr gut zubereitet und überzeugen mit klarem, fein abgestimmtem Geschmack. Das Bemühen um Perfektion ist erkennbar, ein wenig Zurückhaltung in dieser Anfangsphase scheint aber auch noch spürbar. Das Menü, weiterhin allerbestes Casual Fine Dining, hat mich schon jetzt überzeugt; und ich freue mich darauf, wie noch mehr Routine diese Küchenmannschaft kulinarisch noch weiter führen wird!

Restaurant Weinsinn, Frankfurt (D)

Bewertung Essen (?): 7 / 10
Küchenreise-Rating (?): 5 – unbedingt wieder
Guide Michelin: * (Aufgrund der Schliessung im Herbst/Winter ’17/18 für 2018 keine Wertung)
Gault Millau: 16 / 20
Gusto: n/a
Küchenchef: Alexandre Sadowczyk
Adresse: Weserstrasse 4, D-60329 Frankfurt
Telefon: +49-69-569 98 080
Web: weinsinn-frankfurt.de
Kosten: 350 EUR (2 Personen – 4/6 Gang Menü, Weinbegleitung, Champagner, Wasser
Angekündigter Besuch (?): Nein
Einladung (?): Nein
Extras (?): Nein
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung.
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