Zur italienischen Küche habe ich ein zwiegespaltenes Verhältnis. Das Einfache ist im Land, wo die Zitronen blühen, oft so gut: Die Pasta, in jeder abgelegenen Osteriea perfekt al dente. Der Espresso, kaum hat man den Brenner überquert, selbst auf Autobahnraststätten konzentriert und mit schönen Röstaromen (und nicht sauer).
In der gehobenen Küche jedoch, dort wo die Michelin-Sterne am Firmament hängen, hatte ich schon auch geniale Erlebnisse, etwa in der Osteria Francescana. Doch auch diverse Enttäuschungen.
Umso gespannter war ich auf meinen Besuch im Le Calandre in Rubano, einem Vorort von Padua. Die nähere Gegend fällt klar in die Kategorie ‚Enttäuschung‘, ein trostloses Industriegebiet; das von aussen schmucklose Restaurant in einem funktionalen Bau, welcher aus den 70er Jahren stammen könnte, noch dazu an einer vielbefahrenen Strasse. Doch am Ende des Abends weiss ich: Kulinarisch gehört das Restaurant zu den Highlights in Italien!
Dinner im Restaurant Le Calandre in Padua
In der griechischen Mythologie bewachte der vielköpfige Kerberus den Eingang zur Unterwelt. Den Eingang zum mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Le Calandre bewacht eine grosse rosa Hunde- oder Wolfsfigur. Wenn auch nur mit einem Kopf, scheint dies ausreichend zu sein, um Gourmets zum Betreten der Lokalität zu animieren und alle anderen an die Pizzerien der Umgebung zu verweisen.
Betritt man das Lokal von Chef Massimiliano Alajmo, so fühlt man sich plötzlich wie in einer anderen Welt: Gedämpftes Licht, elegante Einrichtung, eine bunt gemischte Gästeschar, Gesprächsgemurmel und Gelächter, und ein toller, wunderbar mit dem Gast interagierender Service.
Angeboten werden drei Menüs: Das ‚classico‘ (die Klassiker und Signature Dishes von Massimillano Alajmo), das saisonal aktualisierte Menu ‚max‘ und das ebenfalls saisonal aktualisierte, doch noch innovativere Menü raf‘, die Speisen der Menüs können auch kombiniert oder à la Carte geordert werden. Um die Küche des Le Calandre kennenzulernen, entscheide ich mich für das Menü classico.
Grüsse aus der Küche
Als Start einige vorzügliche Kleinigkeiten (9/10)
Wie es gerade so modern ist, wird die Weinkarte auf einem iPad gereicht. Das hat Vorteile, um diese aktualisiert zu halten, so richtig kann ich mich – auch wegen der oft nicht ganz durchdachten Usability – noch immer nicht für solche Lösungen begeistern. Aber die Auswahl der Gewächse ist ansprechend, und eine Weinbegleitung wird auch angeboten.
Fu…mare
Gelee von geräucherter Makrele, Kaviar, Eis vom Thunfischbauch und ein grosses Stück Bottarga bilden das erste Gericht, welches im Namen ein Wortspiel von ‚geräuchert‘ und ‚Meer‘ hat. Das ganze ist eine im positivsten Sinne explosive Kombination; Fischaromen, Räucheraromen, die jodige Salzigkeit des Kaviars, die Kühle des die Komponenten verbindenden Eis, die salzigen Umami-Aromen des Bottarga, ein wunderbares Geschmacksfeuerwerk! (10/10)
Hot and cold caviar, oysters and cauliflower
Auch bei der Auster mit Blumenkohl und und Kaviar gefällt der frische Geschmack mit Meer, die Kombination mit Blumenkohl mag nicht aussergewöhnlich sein, doch hier ist sie aussergewöhnlich perfekt umgesetzt. (9/10)
Scarpetta of bread, oil, mantis shrimp sauce and sea urchin
Weiter geht es auf sehr hohem Niveau mit einem gläsernen Pantoffel (‚scarpetta‘) mit Seeigel, einer Karfiolcreme und sizilianischem Olivenöl. Das begleitende Brot dient zum Verzehr des Ganzen (‚la scarpetta‘ nennt man im Italienischen diese Art zu essen). Das Gericht ist Elegant, gefällt mit Texturen, unterschiedlichen Texturen und abwechslungsreichen Aromen, ist aber doch kein ‚Streberteller‘, sondern wunderbar rund. (9/10)
Cuttlefish cappuccino
Für das nächste Gericht wird nun ein transparenter Unterleger mit der Beschriftung „First Taste“ auf den Tisch gelegt.
Und inspiriert vom ‚ersten Geschmack‘ der meisten Menschen, dem Geschmack von Muttermilch, ist der nächste Gang. Von diesem Vergleich mag man halten, was man will, doch das Gericht ist spannend. Ein Cappuccino mit Tintenfisch, einer Kartoffelcreme, Olivenöl und ein wenig Schnittlauch. Anfangs ist das Gericht leider viel zu heiss serviert, und in Summe auch eher auf der schweren Seite; im Geschmack jedoch erneut ein Highlight. (8+/10)
Crispy buffalo ricotta and mozzarella cannelloni with tomato sauce
Puristisch-pur und ausgezeichnet abgeschmeckt ist dann die Tomatensauce, der Stick mit Büffel-Mozzarella ist geschmacklich eher zurückhaltend. Das Ganze weckt Kindheitserinnerungen, oder Erinnerungen an jene Zeit, in welcher die Tomaten noch saftig, rot und intensiv waren… (8/10)
Smoked tagliolini with egg yolk shavings
Im nächsten Gang dann eine Art dekonstruierte Carbonara mit ‚vertauschten‘ Elementen: Der Eidotter nicht mit der Pasta verrührt, sondern getrocknet und über die Pasta gehobelt, die Pasta selbst ist statt dem Speck geräuchert, der Speck dafür als Gelee unter die Nudeln gemischt. Gemischt ergibt das Ganze den Geschmack einer perfekten Carbonara mit ‚verschobenen‘ Texturen, pfeffrig, reichhaltig, intensiv, wunderbar! (9/10)
Saffron and licorice risotto with crispy incense leaves
Der nächste Gang ist ein grosser Klassiker im Le Calandre und wird oft auch mit Superlativen wie das beste Risotto der Welt beschrieben. Ein Safran-Risotto mit Lakritzepulver, und Weihrauchblättern. Und ja, dieses Risotto ist perfekt gemacht, intensiv die Safran-Aromen, die Lakrize gibt ein wenig Süsse und Fruchtigkeit und damit den Extra-Kick.
Weshalb dennoch keine 10/10? Im Prinzip lässt sich dieses Risotto (wenn auch nicht einzig mit den eher ungenauen Beschreibungen im Kochbuch von Massimiliano Alajmo) vergleichbar gut und nicht zu kompliziert nachkochen, und auch die Zutaten zu beschaffen ist keine grössere Herausforderung. Und am Teller erschmeckt man zwar Perfektion, doch nicht aussergewöhnliche Kreativität oder einen allzu besonderen Twist. Dennoch – das perfekte Risotto, und ausgezeichnet, dass das Le Calandre diesem Signature Dish treu bleibt! (8+/10)
Hand-chopped Piemontese beef with black truffles
Nun folgt auf der Rinde eines Astes serviert ein handgeschnittenes Tatar von hervorragendem piemotesischem Rind, kombiniert mit schwarzem Trüffel, einer Trüffelcreme und einem angerösteten Brotstück mit Olivenöl. Das alles ist unkompliziert mit der Hand zu essen, und es schmeckt fleischig, erdig, wunderbar. (9/10)
Bone marrow with herbs
Für den nächsten Gang, dem Knochenmark mit Kräutern, wird ein halbierter Knochen an den Tisch gebracht, in der Mitte das Mark offen und darauf etwas ‚Bröseliges‘. Ein paar Kräuter werden darauf angezündet und verströmen einen angenehmen Geruck. Ein schweres, fettig-intensives Gericht; fein, doch in Summe mehr Show als genialer Geschmack. (7+/10)
Red radicchio with spicy cream
Der rote Radiccio hat eine schöne Bitternote und wird mit einer interessanten Creme kombiniert. Das Resultat ist ein frischer, leicht salziger und gleichzeitig erdiger Geschmack; sehr spannend, mit einem Tick mehr an Komplexität wär’s gar genial. (8+/10)
Crispy roast suckling pig with mustard sauce and coffee powder
Ausgezeichnet dann auch das Spanferkel. Unter der knusprigen, nicht zu festen Kruste verbirgt sich ein zartes, sehr wohlschmeckendes Fleisch. Kombiniert wird dieses mit einer Sehfcreme, darüber Kaffeepulver, einer intensiven und tiefgründigen Sauce und leicht bitterem Gemüse. Wunderbar! (9/10)
Faith
?
Ein Wollknäuel wird an den Tisch gebracht. Weshalb? „Cuisine is like a needle that passing repeatedly through small holes creates a thread so thin and strong that it unconsciously binds us all“ schreibt Massimilano Alajmo in italienisch angehauchtem Englisch auf einem kleinen Kärtchen am Tisch.
Als Vordessert dann einige Früchte, jeweils ein wenig verändert oder aromatisiert; so schmeckt etwa der Apfel kompottmässig oder die Schokolade wirkt wie mit Kaffeepulver zubereitet. (8+/10)
Der nächste Gang – ein leerer Teller?
Doch siehe da, auf der Unterseite verbirgt sich eine Crème Brulèe, darüber Gold. „It’s all a big joke, but in a happy way“
The whole fig
Almond mozzarella
Nicht ausgewogen dann der Mozzarella mit Mandeln: In einer süssen, zuckrigen, ja viel zu süssen Kugel befindet sich Mandelmilch, welche sich wunderbar mit Mozzarellasud, Basilikum, Oliven, Olivenöl und mehr verbindet. Dies könnte ein wunderbares Gericht sein, wäre da nicht die an Kindergeburtstag erinnernde Süsse der Kugel. (7+/10)
Unser Küchenreise-Rating
Die Küche im vom Guide Michelin mit drei Sternen ausgezeichneten Restaurant Le Calandre in Rubano überzeugt mit modern und kreative umgesetzten Gerichten auf italienischer Basis. So sind Tomatensauce, Pasta und Risotto – ausserhab Italiens kaum in der Sterneküche zu finden , feste Bestandteile des Menüs, ja gar Signature Dishes, und das zu recht: Sie sind restlos optimierte Varianten der Gerichte, wie man sie aus einfacheren Restaurants kennt, wecken Emotionen (von Kindheit über Urlaub bis Meer) und haben immer einen spannenden Twist.
Und auch die Gerichte auf weniger traditioneller Basis überzeugen, sie sind elegant, punktgenau abgeschmeckt und technisch nahezu immer perfekt umgesetzt. Die Atmosphäre im Restaurant ist gemütlich und angenehm. Der Service hat jene Weltläufigkeit und Persönlichkeiten, welche mit dem Gast auf Augenhöhe agieren und welche ihren Teil zur unkomplizierten, freudigen Stimmung im Restaurant mit Chef Massimiliano Alajmo beitragen. |
Restaurant Le Calandre in Rubano bei Padua (I)
Bewertung Essen (?): | 9 / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 5 – unbedingt wieder |
Guide Michelin: | *** |
Gault Millau: | – |
Gusto:- | |
Küchenchef: | Massimiliano Alajmo |
Adresse: | Via Liguria 1 35030 Rubano (PD) |
Telefon: | +39-49-63 03 03 |
Web: | alajmo.it |
Kosten: | 820 EUR (2 Personen) |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |