Schon wieder! Madonna mia, wie oft sollen wir noch berichten? Sowohl für die Kuechenreise als Blog wie auch für mich Gast am Blog ist es das dritte Mal in Modena. Nach je einem eigenen und einem Gastbeitrag hier nun der Bericht meines letzten Besuches, der dritte also insgesamt. 

Die Erinnerungen sind unsagbar sagenhaft, die Erwartungen grandios gross, kann das wirklich noch einmal gut gehen? So unerhört überzeugt war ich schon einmal, und dann noch einmal, eigentlich kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass ein drittes Mal noch irgendetwas mehr, besser, anders wird. Das kann nicht sein!

Diesmal sind wir zu sechst. Einer von uns hat gerade die Kochlehre abgeschlossen. Einer ist per Flugzeug weit gereist, um hier zu dinieren. Eine feiert einen runden Geburtstag. Die grösste Herausforderung heute ist nicht aber die allgemeine Erwartung aller Beteiligten, sondern meine Grippe, die trotz Taktiken und Techniken immer noch nachweht und von der ich befürchte, dass sie mir Abend und Appetit verderben mag.

Pünktlich um acht versammeln sich die Food-Jünger in der Gasse vor dem bescheidenen Eingang der Osteria. Ein paar Auszeichnungen mehr hängen dort inzwischen an der Wand, ein zarter Birkenstamm markiert Frühjahrsdekoration. Es nieselt leicht, und das ist allen egal. Wir wissen, glauben, hoffen, wir haben gelesen und gehört, wir haben vor langem reserviert, oder sind kurzfristig schnell hingeeilt. Ellenlange Reihen von Tipps werden im Netz herumgereicht, am liebsten ist mir der, der beginnt mit ‚Zuerst beten. Dann anrufen. Dann mailen.‘ Egal wer es heute wie in die Via Stella geschafft hat: wir essen alle bei Bottura, und der Laden ist voll. 

Der Empfang ist wie gewohnt frostig. Die Angestellten der Osteria Francescana sind nicht für ihre Warmherzigkeit bekannt. Ich erkenne den Maître D’ wieder, der damals stur und ausführlich erklärte, Menükarten für Frauen hätten nun mal keine Preise – wo doch die Dame des Abends den Besuch organisiert, den Tisch ergattert, das Airbnb gegenüber gefunden und ihre (eigene) Kreditkarte für die Reservierung hinterlegt hatte. Aber heute lassen wir ihn links liegen, denn wir sitzen gar nicht im Restaurant. Jedenfalls nicht in einem der beiden Haupträume.

Wir werden direkt in unser Prinzengemach geführt, der Raum ist klassisch ruhig, die Platzteller schimmern golden vor sich hin unter den Spots, die Beleuchtung ist perfekt dezent und doch nicht schummrig. 

Die Karte gehört nur uns, wegen der Gruppengrösse ist das Menü längst und in ausführlicher Korrespondenz geplant und beschlossen worden. Wir schaffen es aber, fast eine halbe Stunde über die Weinbegleitung zu diskutieren, mit immer wieder neuen Argumenten. Bei mir wägen sich die guten Erinnerungen an vergangene Sommelier-Kreationen und meine Rest-Grippe gegeneinander ab. Die Jüngeren in der Runde sind zuversichtlich über die Alkoholmengen, die uns bei voller Begleitung erwarten und, das sei vorweg verraten, gehen auch nach dem Essen noch fröhlich Bars abklappern, obwohl die Osteria-Küchentruppe sagt, morgen wäre dazu ein besserer Tag.

Wir einigen uns auf ein paar komplette Weinbegleitungen, ein paar geteilte, und einer hält es mit ein paar einzelnen Gläsern. Seltsam ist, dass bei einer gemeinsam geteilten Weinbegleitung – inzwischen international recht üblich bei vielen Gängen – jeweils nur ein Glas gereicht wird. Bei zwei Gläsern für eine Weinbegleitung könnte man nämlich beim Nachschenken zu viel profitieren. Da blitzt wieder die steife, kleinliche Seite auf, die die Osteria bei all ihrer grandiosen kulinarischen Gastfreundschaft eben auch hat.

Die Küche beginnt, Grüsse zu senden. Ein paar kennen wir schon, ein paar sind neu. Viel, viel später erklärt uns Chef Bottura persönlich die ganze Geschichte von jedem Gruss, der eine kommt strikt geografisch von wo der Vater aufwuchs, der andere von mütterlicher Seite. Der dritte Gruss ist das Treffen der beiden in der Emilia Romagna, da wo wir sind.

Silbernes Filigran sieht nur aus wie eine Sardine, es ist gar keine, bloss das dreidimensionale Bild davon, und ein Hauch Haut. Darin eine Mousse vom Aal, rauchig und fischig und mit der Hülle knusprig-klebrig, neu, überraschend anders, der Geschmack knapp nicht am Niveau der verspielten Ästhetik.

Andere Grüsse interessieren und überzeugen gleichermassen – nicht ganz. Beim Brot aber, dunkel, luftig, intensiv und, wie wir später lernen, aus einem mit Sauerkirschensaft gegorenen Teig, dieses Brot also mit dem grün-goldenen bittersüssen Olivenöl, dieses Brot reicht mir, sagt einer von uns. Wenn jetzt nichts mehr kommt, dann hat es sich schon gelohnt. Alle nicken, schlürfen den simplen, magischen Champagner, spielen mit den Küchengrüssen und sind gespannt auf den weiteren Abend.

Wir merken, dass da noch eine ganze Mahlzeit kommt. Weine werden eingeschenkt und erläutert, Brot wird nachgereicht, die Neuen werden neugieriger, die Alten gelassener. Das Beste kommt noch, das wissen wir alle, auch wenn es bereits so gut war, dass wir jetzt glücklich heimgehen könnten.

Grey and black rice ist ein kleines Risotto, mit harten, beissfesten Reiskörnern. Schwarzgefärbtes kennt man zur Genüge, irgendwo hat heute bei jedem Italiener einmal ein Tintenfisch vorbeigeschaut. Chef Bottura benutzt das, und setzt einen obendrauf, wie so oft. Ich bilde mir ein, das geschehe nicht aus Arroganz (die man ihm gerne vorwirft) oder Langeweile (vom Ausruhen auf den Lorbeeren), sondern aus rastlosem Ehrgeiz, das Bekannte neu kennenlernen und formulieren zu wollen. Hier also ein perfektes Seppia-Risotto, und darauf ein dicker Klunker Kaviar. Eine fischig-harte sanfte Masse entsteht, Salz zur Genüge und nicht zu viel, Sämigkeit angedeutet und nicht fad; Spielerei unterhaltsam. Keine Chance fürs Überleben auch nur eines einzigen Reiskorns auf dem ganzen Tisch.

Wir bleiben am Meer. Es kommt ein Kabeljau aus dem unseren, oder auch Cod Mare Nostrum. Der Kabeljau, so oft gebraucht, so selten gebracht, heissgeliebt in allen Küchen und fast nie ganz da. Hier liegt er in einer grünen Sauce, und ehrlich gesagt, es ist der perfekteste Fisch unseres Lebens. Es wird still am Tisch, ungläubig schauen wir auf das nicht sehr Aufsehen erregende Stück Weiss in der grünen Tunke, und halten inne. Es schmeckt nach Meer, nach Luft und Wasser, es hat eine Konsistenz die weich ist und sich beissen lässt, eine Note von leichtem Land, und so wird der Fisch zu dem was er ist, ein Meerestier. Wir schliessen die Augen um besser zu schmecken. So ein kleiner Gang, so ein grosses Wunder an Geschmack.

In unserem angepassten Frühlingsmenu gibt’s auch das altbekannte Autumn in New York. Aber halt, das ist nie altbekannt, die Darstellung des amerikanischen Herbsts variiert je nach Gemüsemarktlage im italienischen Modena, werden wir belehrt. Heute mischt sich Minze mit Frühjahrserbsen und Ziegenkäse. Von New York ist die Apfelform übriggeblieben, der Geschmack ist vollkommen hier und jetzt, frisch, fast frech, leicht und frei. Die Runde ergeht sich in Ausrufen des Glücks, das Understatement – schliesslich ist das bloss etwas Gemüse an Sauce – ist so präzise, dass uns nicht einfällt, wie sowas besser ginge.

Wir kommen zu zwei Gängen die ich uns erzwängt habe. Nein, schrieb man mir säuerlich, das Menu stehe erst ein paar Tage vor dem Essen fest, schliesslich wisse man nie, was der Markt bringe. Ob ich das Menu dann nur ein bisschen anpassen könne, antwortete ich unschuldig. Eine murrende Mail später meinte nach ein paar Tagen, vielleicht, ein bisschen. Und so schrieb ich den Modenesen, dass ich gerne Neues dazulerne, dass ich aber die Dinge, die ich nie mehr vergessen kann, nicht verpassen will, wenn ich wiederkomme. Foodblogleserinnen und –Leser wissen, worum es geht: um die fünf Phasen des Parmesans und ums Ragu. Vor allem Letzteres hatte ich vermisst beim zweiten Osteria-Besuch, und das passiert mir nicht nochmal. Es war, ist und bleibt die beste Pasta meines Lebens. Parmesan ist sowieso ein Star, und in diesem typischen und inzwischen kultigen Gericht vereint er den Saft der Jugend, die samtene Leidenschaft der besten Jahre, und die Gelassenheit des Alters. Aber eins nach dem anderen.

Tagliatelle with Ragu, ein Zwischengang sozusagen, ist der Höhepunkt von allem. Unübertroffen in der smarten Simplizität, mit dem perfekten Biss und dem unangefochtenen Umami-Optimum, mit der richtigen Würze von Land und Salz. Eine Nudel die nährt und neugierig macht, mit einer Sauce die keine ist, Handgeschnittenes vom Kalb, sämig verbunden mit Mark, ohne Öl, und natürlich ohne Tomaten. Zwei, drei Geschmacksnoten in kompletter Harmonie, mit Obertönen und ohne Kapriolen. So einfach, dass man sich fast nicht traut, das zu lieben. Davon zu träumen, das nach ein paar Jahren wieder zu bestellen. Um wieder überwältigt zu werden. Und doch geschieht genau das, und es verblüfft mich fast noch mehr als beim ersten Mal. Aber als ich um mich blicke, hat sich fast religiöse Ruhe am Tisch breitgemacht, alle sind vertieft in ihr Ragu, und einfach nur glücklich.

Es kommen jetzt Five ages of Parmiggiano Reggiano in different textures and temperatures. Ein Käse, fünf Spielarten, nach Alter und Konsistenz, ein lukullisches Schmecken, ein Hauch hier, eine Crème da, eine Mousse, ein Crouton. Witzig, leicht, assoziativ intelligent – so macht Essen Spass. Es sind nur ein paar Löffel, es ist nicht schwer, es ist bloss erstaunlich vielseitig und überraschend. 

Von der besten Pasta der Welt und dem besten Käse der Welt kommen wir zu Pasta mit Käse, Tortelloni with cream ofParmiggiano Reggiano. Und auch hier stimmt der Biss vollkommen, die berühmten der-Oma-von-unterm-Küchentisch-abgeschauten Tortelloni sind klein und fest, würzig voller Charakter, und sie schwimmen in einem Meer von loser Leckerheit, von flüssigem Samt, von weisser Weicheit mit Geschmack.

Wir brauchen eine Pause, sind voller Vor- und Mittelspeisen, und es wird langsam Zeit für Fleisch. Dazu gibt es für jeden ein anderes Messer, einzigartige Kreationen von Kunst. Wir kennen das Faible des Meisters, es hängt hier allenthalben Zeug an der Decke und an den Wänden, es stehen Figurinen herum und beflügeln die Fantasie, und Bilder die irritieren und inspirieren. Auf den Tellern steht Bottura dem in Nichts nach, jedenfalls versucht er das, und es gelingt ihm oft genug.

Suckling pig tender and crunchy sieht denn auch aus wie ein beruhigter Jackson Pollock, ein bisschen Schwein, ausgebacken geröstet, mehr Geschmack geht nicht. Salzig und knusprig mit viel Fett, comme il faut. Mit cartoonigen kleinen Schweinchen dazu, gestanzt aus Knollengemüse, aus Karotten, aus Wurzeln aller Art. Immer wieder scheint mir der Fine Dining Hauptgang eine Herausforderung, nach all den Spielereien und Grüssen aus den Küchen, aber hier macht er sich fast lustig über sich selber. Ja, wir haben Fleisch, sogar mit einem sagenhaften Messer dazu, aber es ist nur ein Häppchen, eine Erinnerung, ein Reminder an Menu-Strukturen die wir längst über Bord geworfen haben. Jetzt sind wir bereit für das dicke Ende.

Aber so einfach ist das nicht in der Osteria Francescana. Wo war denn der Wundersalat, der jedes Mal wieder andere Überraschungen bereithält, versteckt zwischen seinen Blättern? Der Koch kommt selber, und erklärt. Es sei ihm ein Sport geworden inzwischen, seinen Caesar salad in bloom in jeder Saison neu zu kreieren. Diesmal ist es eine Nachspeise, und zwischen den grünen Blättern finden sich Süßigkeiten der Natur, Blüten, Früchte in allerlei (kleinen) Formen, Knospen und Gewürze, und der Geschmack ist ungewohnt, knackig herb und frisch. Nicht mein Lieblingsdessert, aber die kommt ja noch, bei den Friandisen. Vorher heisst es nur noch Yellow is bello.

Von ungekannter Schönheit ist das mit Gold ausgekleidete Schüsselchen, die mit Gold bestäubten Kügelchen, die leichte Zitronigkeit der Crème. Der Geschmack bleibt zurück, aber die Aesthetik ist schön. Das muss für heute reichen, wir lehnen uns zurück. Die Neuen sind beindruckt, der Weitgereiste will sofort wiederkommen, der neugebackene junge Koch denkt, er kann das alles auch, und wir Wiederholungstäter rechnen uns schon aus, wann wir guten Gewissens wieder einmal herkommen, am liebsten A la Carte, drei Gänge, Ragu, Ragu, Ragu, nein, ich übertreibe.

Wovon ich auch übertrieben, nämlich stundenlang, erzählen kann sind die hand-nachgemachten ‚Kirschen’ von Massimo Bottura, wo ein Lehrling stundenlang künstlich echte Stiele in schokolade-umhüllte Kugeln von Flüssigkeit hat stecken müssen. Die einen Kugeln sind mit kaltem Kaffee gefüllt, die anderen mit einem leichten Saft von sauren Kirschen. Bis man die Dinger nicht als Ganzes im Mund zerbeisst, weiss man nicht, welcher Geschmack einem im Mund explodiert. Eine herrliche Erinnerung an echtes Schmecken und auch daran, wer hier der Chef ist.

Wir haben uns überessen, das ist hier nicht immer so, und gänzlich mein Fehler, wegen den zwei zusätzlich bestellten Gängen. Bereuen tue ich trotzdem nichts, und schon gar nicht, dass wir zum dritten Mal hier waren. Wir sind fast die letzten, als wir weggehen, haben pro Person etwa 250 Euro ausgegeben, und wieder was gelernt, erfahren, kapiert, begriffen, genossen, geschmeckt, erlebt. Wir waren zu Gast bei einem Koch der viel nachdenkt, viel ausprobiert, einen guten Sinn für Humor hat, sich selber nicht allzu ernst nimmt, und doch klar den Ton angibt. Massimo Bottura, einer der besten Köche der Welt, der das hoffentlich noch eine ganze Weile bleibt. Der hoffentlich weiter irritiert, witzelt, provoziert, Stories erzählt mit seinen Gängen, und die Geschichte wiederbelebt und auferstehen lässt mit neuen Interpretationen. Und der dabei nie vergisst, dass wir am Schluss einfach nur gut essen wollen, mit herzhaftem Biss und froher Lust, und einem Augenzwinkern.

Osteria Francescana, Modena (IT)

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