Mein Taxifahrer, eines der wenigen verbleibenden Berliner Originale in dieser Branche, beklagt sich am Weg an das Paul-Linke Ufer 44a über fast alles: Die hohen Mieten, den vielen Verkehr, das schlechte Wetter.
Das zeigt, dass der klischeehafte Berliner mit den ebenso überspitzen Charakterzügen des Wieners so manches gemeinsam hat: Letzterer raunzt und beklagt sich ja auch ständig, und er geht zum Lachen auf den Zentralfriedhof, so sagt man.
Das kleine Restaurant am Ufer des Landwehrkanales, welches heute Abend mein Ziel ist, ist nicht das erste Mal in österreichischer Hand.
Von 1972 bis 1985 residierte dort das Exil, betrieben von Oscar Wiener; ein Luxus, wenn der Familienname schon die Heimatstadt erklärt.
David Bowie, George Tabori, Rainer Werner Fassbinder und Joseph Breus sollen dem österreichischen Charme erlegen und sich dort die Nächte um die Ohren geschlagen haben. Und die Gäste sollen „burgenländische Weine zu Sauerbraten“ getrunken haben, auch wenn das Wort Sauerbraten ja nicht zum aktiven Wortschatz der meisten Österreicher gehört und damals manch Burgenländer noch mit einem hohen Gehalt an Frostschutzmitteln brilliert haben mag.
Mittlerweile hat ein anderer Fast-Wiener aus Mödling, einem Vorort der österreichischen Hauptstadt, Einzug in das bezaubernde Restaurant mit Wirtshauscharme gehalten. 2010 wurde Sebastian Frank Küchenchef im mittlerweile unter dem Namen Horváth firmierenden Restaurant; 2014 übernahm er das Restaurant mit seiner Partnerin Jeannine Kessler.
Horváth? Ja, genau, der Restaurantname ist eine Referenz an Ödon von Horváth, dessen Stücke wie Geschichten aus dem Wienerwald, dessen Romane wie Jugend ohne Gott ihn weltberümt gemacht haben. Und dessen tragischer Tod, erschlagen von einem Ast auf der Champs-Élysées in Paris, ihn vielleicht zumindest vor den Gräueln der Nazi-Zeit bewahrt hat.
Ich bin mittlerweile schon aus dem Taxi, habe dem Taxifahrer zum Abschied ein beschwingtes Servus zugerufen (da muss selbst ein Berliner Original lächeln) und habe im Lokal Platz genommen. Vor mir auf einem Kärtchen ein Zitat von Ödön von Horváth, eine Frage an Gott.
Vom Glaube ist der Weg zum Aberglaube ja nicht immer weit, und so hat eine Wahrsagerin Ödon von Horvat auch ein tragisches Ereignis im Mai ’38 in Paris vorhergesagt. Welches dann erst einen Tag später, am Abend des 1. Juni, beim Gewitter an der Pariser Prachtstrasse eintraf.
Kärtchen eignen sich nicht nur für literarische Zitate, sondern auch für detaillierte Beschreibungen der Zutaten der Speise. Das Steirereck, in welchem Sebastian Frank ein paar Jahre arbeitete, hat es vorgemacht; das vom Guide Michelin mit zwei Sternen ausgezeichnete Horváth hat diese Idee aufgenommen. Und so bekomme ich nun zu jedem der Gerichte eine solche Karte gereicht.
Kreativität durch Zensur beschreibt Sebastian Frank seine Küchenlinie, und auch bei der Auswahl der Speisen gibt es für den Gast wenig zu entscheiden. Das Menü mit sechs oder acht Gängen; eine Wein- wie auch eine famose alkoholfreie Getränkebegleitung (und natürlich auch Tropfen von der Weinkarte) stehen zur Auswahl.
Auch das Brot ist vom Steirereck inspiriert, wenn auch keine exakte Kopie: Da ist ein Blunzbrot (Blutwurst-Brot), welches (in grösserem Laib und mit mehr Blunzn) auch der Brot-Andi zur grossen Freude der Gäste des Steirerecks am Brotwagen heranfährt; da ist ein kleines ungarisches Lángos, freilich nicht so knoblauchgetränkt und sündhaft fett wie im Wiener Wurstelprater, doch dafür einfach sündhaft gut; und da ist ein gutes Stück Sauerteigbrot.
Und dazu gereicht wird – das klingt mehr magenfüllend als es glücklicherweise war – ein Schälchen gefüllt mit Kartoffelpüree und Nussbutter – famos!
Mit einem Amouse Bouche startet das dann Menü so richtig: „Unser Salat“ ist ein Eisbergsalat mit Zitronencreme, dazu Erdbeerkernöl von Franz Hartl, einem Niederösterreichischen Ölproduzenten, und einer getrockneten Knollensellerie, welche über das Gericht gerieben wird.
Sebastian Frank, der die Knollensellerie zum umamihaltigen Star vieler seiner Gerichte gemacht hat, hat diese hier zunächst im Salzteig gebacken, dann (unter regelmässigem drehen und wenden) weiter getrocknet und dehydriert. Nach 12 Monaten ist sie nun hart wie Parmesan und kann auch so gerieben werden.
Nun mag ich kulinarisch ähnlich sozialisiert worden sein wie Sebastian Frank, doch ich dürfte ein kindheitliches Knollensellerietrauma haben. Man verzeihe mir, wenn ich deshalb bei diesem Gemüse nicht laut aufjauchze; und bin über sachdienliche Hinweise zur Bewältigung meiner traumatischen, doch verdrängten Erlebnisse natürlich jederzeit dankbar.
Halt, einen Schritt zurückgetreten und das Trauma ausgeblendet; Es handelt sich um einen spannenden und vielschichtigen Gruss aus der Küche. Der schon hier aufzeigt, dass der Chef die Zutaten der österreisch-ungarischen Küche aufnimmt, dass er vermeintlich einfache davon auf einzigartige Weise auf ein Podest hebt und damit letztlich etwas sehr eigenständiges, etwas „anderes“ kreiert. (8/10)
Der erste Gang des Menüs ist dann eine „falsche Lebercreme“ aus Kräuterseitlingen, kombiniert mit einer Apfel-Balsamiko-Reduktion von David Gölles aus der steirischen Essigmacher-Dynastie und einem Butterstriezel (Briochebrot) vom Wagen.
Nun hat die Welt in den letzten Jahren ja schon die eine oder andere „falsche“ Leber gesehen; der Geschmack und Schmelz von foie gras wurden vielfältig, doch nicht immer gelungen imitiert.
Die „falsche Leber“ im Horváth versucht erst gar nicht, das Original perfekt nachzuahmen. Doch sie nimmt das Geschmacksbild auf, sie ist rund und sehr fein, sie ist einfach gut. Da passt auch der Apfel-Balsamico mit seiner Süsse und Säure sehr schön dazu, und der Butterstriezel begleitet mindestens so gut wie ein Brioche. (7+/10)
Die gekühlte Gemüsesuppe, erneut mit Sellerie sowie mit cremig reduzierter Sahne, ist mit einem intensiv-nussigem Bucheckernöl von Franz Hartl abgerundet und weist trotz schlichter Optik eine ansprechende geschmackliche Komplexität auf. (7+/10)
Fein ist die nun folgende Lachsforelle definitiv, an den ein paar Tage zuvor genossenen Saibling im Wiener Steirereck kann der Fisch aber vielleicht nicht ganz heranreichen. Umso mehr fesselnd jedoch die Kombination mit einer Röstgemüsereduktion mit leicht bitterer Süsse und dunkler Schokolade, fast schon ein wenig an eine Teriyaki-Sauce erinnernd, aber auch das Umami-Feuerwerk der köstliche Paste mit Haselnuss und Anchovies; ein grandioser Kontrastpunkt dazu der salzig eingelegtem Rhabarber.
Das ist kein Wohlfühlgericht für jedermann, doch es baut sich eine intensive Spannung im Mund auf, es ist ein Verführer auf den zweiten Bissen. Die eine mag dieses Gericht lieben, der andere mag sie hassen – doch grosse Speisen müssen ja auch nicht unbedingt kompatibel mit dem Massengeschmack sein. (8+/10)
Gemischter sind meine Gefühle jedoch beim Juvinelferkel; das Fleisch schon von gutem Geschmack und nicht langweilig, aber für mich auch nicht let’s rock the world. Beim Schwein geht noch mehr.
Der Ferkelsud dazu ist köstlich, mit Essig und gerösteter Selleriesaat; und am Löffel gibt es dazu noch eine geeiste Marmelade vom Pusztasalat, welcher pikante Noten, eine angenehme Schärfe und einen schönen Temepraturkontrast beisteuert. (7+/10)
Am nächsten Teller dann geröstete Steinpilze, darauf einer ein wenig trivial wirkende Kräuterbutter mit Petersilie und Dille. Angerichtet ist das Gericht mit eine Eigelbsauce mit Slibovitz und kleinen Würfelchen von Essigzwiebeln. Im Gegensatz zu manchem der früheren Gänge vermisse ich hier die kompromisslose Spannung, die Intensität der Geschmäcker. (7/10)
Nun gibt es erneut Knollensellerie, oder Zeller, wie der Ost-Österreicher das Gemüse auch nennt; diesmal gegrillt auf einer Gemüsebèschamelcreme, dazu Backenspeck vom Mangalica-Schwein mit Estragon, und etwas Rahm mit einer scharfen Paprika-Minze-Sauce, und einem Knoblauchschaum.
Der Zeller weist wunderbare Röstaromen auf, wirkt innen auf mich aber eher weich und eindimensional. Der Knoblauchschaum gibt dem Ganzen wieder ein mehr an Komplexität, der Rahm mit der Paprika-Minze-Reduktion steuern eine schöne Schärfe und einen Tick Frische bei. Der Bauchspeck bringt Umami und Herzhaftigkeit ein. In Summe ein schönes, spannendes Gericht. (7+/10)
Die Erdbeeren hat die Küche von Sebastian Frank im mit Mohnöl mariniert und dann mit einer Glasur aus Zitronenschmalz umhüllt.
Platziert sind sie auf einer Emulsion von Joghurt mit Erdbeerkernöl, darüber gerösteter Blaumohn. All das ergibt eine ungewöhnliche, doch hoch-spannende Kombination; die Süsse der Erdbeeren harmoniert schön mit dem Fett des Schmalzes und den Röstaromen des Mohns! (8/10)
Mit dem Kümmel ist es wie mit der Sellerie, er polarisiert: Manche lieben ihn, manche hassen ihn. Ich gehöre dem ersten Lager an.
Am Teller eine warme, süsse und cremige Baiser-Creme, dazu ein kühles, rundes Sauerrahmeis nach einem Rezept der österreichischen Köchin Johanna Meier, geröstetes Schwarzbrot, präsenter doch gut eingebundener Kümmelgeschmack und eine Waldmeister-Wolke mit leichter, erfrischender Säurenote. Erneut eine sehr spannende Kombination! (8/10)
Zum Abschluss dann die wohlbekannte Blutpraline, einer der Signature-Dishes des Hauses.
Das Küchenreise-Rating
„Es gibt nichts langweiligeres als eine Küche, die jedem gefallen möchte“, schreibt der Gusto. Sebastian Frank hat im Horváth eine extrem eigenständige, ja einzigartige Küchenlinie gefunden. Diese mag nicht nicht jedem gefallen, das Resultat ist durchaus eine subjektive Geschmackssache.
Doch die Gerichte weisen klare, präsente und gut abgestimmte Aromen auf, sie sind voll Kreativität und mit überraschenden Facetten, sie sind technisch sehr präzise umgesetzt, was sich auch in den vom Guide Michelin verliehenen zwei Sternen widerspiegelt. Und nach meinem doch enttäuschenden Besuch im Jahr 2014 bin ich nun sehr angetan und beeindruckt.
Ist die Küche österreichisch oder österreichisch-ungarisch? Sebastian Frank verwendet im Horváth eine Vielzahl von Produkten und Ideen aus der Region, sehr oft vermeintlich „einfache“, doch er kreiert daraus sehr eigenständige Geschmacksbilder, welche man so kaum je in diesen Ländern finden würde.
Zu erwähnen sei auch die (hier nicht beschriebene) nicht-alkoholische Getränkebegleitung, welche keinesfalls ein Lückenbüsser ist, sondern sich mit gleichfalls beeindruckender Kreativität weit von ähnlichen Angeboten auch in der gehobenen Gastronomie absetzt.
Die Räumichkeiten erinnern an ein sympathisches österreichisches Wirtshaus mit viel Charme. Schöner ist es jedoch, im vorderen Teil des Restaurants zu sitzen; jene Tische, welche im hinteren Teil im ‚Schlauch‘ Richtung Küche platziert sind, wirken atmosphärisch doch nüchterner, wenn nicht gar etwas trostlos. Doch da trösten dann Essen, Getränke und der Service darüber hinweg.
Restaurant Horváth in Berlin (D)
Bewertung Essen (?): | 8 / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 4 – gerne wieder |
Guide Michelin: | ** |
Gault Millau: | 18 / 20 |
Gusto: | 10 / 10 |
Küchenchef: | Sebastian Frank |
Adresse: |
Paul-Lincke-Ufer 44a |
Telefon: | +49-30-61289992 |
Web: | restaurant-horvath.de |
Kosten: |
Menü 6 Gänge EUR 120, 8 Gänge EUR 140 |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |