In der Wallensteinstrasse in Wien-Brigittenau, da ist Wien noch Wien geblieben. Vielleicht ist dieser Ort, an den sonst nie ein Tourist einen Fuss setzt, genau der Richtige für im Herzen wild gebliebene.
Vorbei am Gasthaus Haller mit traditioneller Wiener Küche und ungarischen Spezialitäten, an einer italienischen Gelateria, an dem im ehemaligen Wallensteinkino gelegenen Malereigeschäft, an Jonny’s Mobiltelefonshop und kurz danach der vielleicht letzten funktionierenden Telefonzelle der westlichen Welt, an einer Tabak-Trafik und dem Istanbul Center Einzel-und Grosshandel: Mir wird bewusst, das Wien schon zu Zeiten der Monarchie ein Schmelztiegel war und dies auch geblieben ist.
Hier pulsiert Wien; wilder als im nobel Döbling, natürlicher als in der touristenüberlaufenen Innenstadt. Die Stadt hat viele Facetten; eine davon ist das gute Essen: Ich begebe mich gerade zum einem der Besten – dem vom Guide Michelin mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurant Mraz & Sohn.
Auffällig ist die weisse, beleuchtete Tür nahe der dem Ende der nach dem böhmischen Feldherren Albrecht von Wallenstein benannten Strasse. Wallenstein, der unter anderem für den österreichischen Kaisers Ferdinand II im dreissigjährigen Krieg die Schweden besiegte,, ist ja letztlich von kaisertreuen Offizieren im Jahre 1634 auf der ungarischen Burg Eger mit einer Lanze erstochen wurde. Dieses Schicksal möchte ich heute vermeiden, lieber mir den Magen mit Köstlichkeiten vollschlagen.
In österreichische Geschichte versunken klingle ich an der Türe. Es wird mir mit einem grossen Lächeln geöffnet, und ich trete ein in die Restaurantwelt der Gegenwart. Ich werden an den grossen Kitchen Table geführt, schön, dann muss ich mich nicht alleine betrinken. Sondern der Käsemacher, die Weingut-Praktikantin und eine kleine, aber feine bunte Mischung anderer schillernder Personen leisten mir dort Gesellschaft. Und wenn die vom Essen abgelenkt sind, kann ich der coolen Musik vom Plattenspieler lauschen, die da im Hintergrund spielt. Oder das konzentriere arbeiten in der offenen Küche beobachten. Kein Wunder, dass an den Tischen hier überall eine lebendige und fröhliche Stimmung zu herrschen scheint!
Mraz und Sohn? Ursprünglich hat Markus Mraz das Lokal 1990 mit seinem mittlerweile schon verstorbenem Vater gegründet. Heute führt er das Restaurant gemeinsam mit seinen zwei Söhnen.
Da ist Lukas Mraz, der nicht nur Erfahrungen sammelte in höchst renommierten Häusern wie den L’Arnsbourg (Das zweite Leben des Monsieur Klein – sein ehemaliger Chef arbeitet mittlerweile in der Villa Lalique), dem Vendôme (Klassentreffen) und dem De Librije (Drei Sterne im Frauenknast), sondern auch mit der Cordobar die Berliner Essszene aufgemischt hat und jetzt mit seinem Vater kocht.
Da ist Manuel Mraz, künstlerisch veranlagt Musik studierte und dann nach einem „Ausflug in die Küche“ (ebenfalls die Cordobar in Berlin) jetzt souverän den Service leitend damit ganz wesentlich für das Wohlbefinden der Gäste.
Und natürlich der ewig junggebliebene Markus Mraz, der (das soll nicht derespektierlich klingen) auch als Bademeister die schmachtenden Blicke der Damenwelt auf sich ziehen würde, jedoch gemeinsam mit seinen Söhnen das Restaurant Mraz zu einem Guide Michelin zwei-Sterne-Restaurant entwickelt hat.
In einem Glückskeks wird jetzt das Menü gebracht: Ein kleines Zettelchen befindet sich im inneren, welches sagt „menüpreis EUR 144.44“ (und auf der Rückseite „drinkspairing EUR 85). Mehr Auswahl als das 14-gängige (bzw. 15-gängige – mehr dazu am Ende des Berichtes) Menü gibt es nicht (auf Allergien & Co wird natürlich Rücksicht genommen), doch das ist gut so.
Der Start in das Menü ist dann der Michaelhäuplsalat. Ein Häuplsalat, das ist im Wienerischen ein Kochsalat, und der am Tisch stammt der vom Züchter Michi. Und der frühere volkstümliche Wiener Bürgermeister hiess Michael Häupl. Soviel zum kreativen Wortspiel.
Dieser Kopfsalat ist gefüllt mit aufgeschnittenen, unreifen grüne Erdbeeren, was eine lebendige Säurenote beisteuert, und er ist kombiniert mit einem wunderbaren Haselnussdressing. (8/10)
Nun präsentiert der Service in einer mit Eis gefüllten Schale einige der Zutaten des Menüs. Das ist nicht nur gerade modern in der gehobenen Gastronomie, es lässt vor allem auch meinen Appetit und meine Vorfreude ins unermessliche wachsen!
Der „Brotgang“ ist dann eine Art vietnamesisches Baguettee („Bahn Mi“ mit Wienerisch verfremdeten Namen als Wortspiel) mit Tomaten, Fischsauce, Koriander, Thai-Basilikum und mehr. Ein sehr feines „spicy Fingerfood“! (7+/10)
Darauf folgt ein Wolfsbarsch (oder, um ganz genau zu sein, ein slowenischer Seebarsch) mit einer Art Ceviche aus Maiwipferl, feinwürfelig geschnittener Granny Smith Apfel, Chilli und Kürbiskernöl. Der Apfel gibt Säure und Textur, das Kürbiskernöl im Hintergrund wunderbare Weichheit, und da ist noch ein Tick Schärfe, die den Seebarsch toll ergänzen. (8+/10)
„Pai Huang Gua“, so heissen wohl die geschlagenen Gurken eines beliebten Chinesischen Gerichtes. Die Küche im Restaurant Mraz hat sich davon inspirieren lassen: Für den Smashed Cucumbersalad werden die Gurken ebenfalls mit dem Messerrücken zerschlagen, so können sie die Aromen der anderen Zutaten noch besser aufnehmen und der Saft vermengt sich leichter mit den anderen Bestandteilen.
Dazu gedämpfter Oktopus, sauer eingelegte Holunderblüten, Liebstöckel, das ergibt ein grenzgeniales Gericht; intensiver purer Gurkengeschmack, ein Hauch von Schärfe, fast schon grenzwertige Säure, zarter Oktopus – toll! (8+/10)
Ob der Name des „Humm(er)inator“ nun etwas mit dem Herminator oder mit Daniel Humm zu tun hat, habe ich vergessen zu fragen. Wer’s weiss, bitte einen Kommentar!
Gedämpfter blauer Hummer, eine am Tisch angegossene Hummerbisque, weisse Erdbeeren, Kräuter und Curry ergeben auf jedenfalls eine grossartiges, rundes Hummergericht mit einem Tick Schärfe. (8/10)
Als zweiter Teil des Hummergerichtes dann eine Sommerrolle, gefüllt mit Scherenfleisch vom Hummer, Koriander und säuerlich fermentiertem Rettich; das ist zart, schmeichelnd und fein. (8/10)
Eine Kartffelmousseline wird nun kombiniert mit (optional – EUR 16) Kaviar aus Salzburg, Mandelmlich und grünen jungen Mandeln. Das mag simpel klingen, ist jedoch ein wunderbar austariertes, wohlschmeckendes Gericht! (8+/10)
Ansprechend dann das zarte Fleisch vom Maibock, kombiniert mit „K. u. Kochsalat“ (Kochsalat ist die österreichische Bezeichnung für Römischer Salat, „K. u. K.“ war die Abkürzung für „kaiserlich und königlich“ zu Zeiten der Monarchie; und das ganze ist auch noch mit Kokosfett zubereitet) mit Erbsen und Brimsen. Der Salat hat Knack, die Kombi mit dem Kokosgeschmack ist fein und harmoniert gut mit dem Maibock. (7+/10)
Danach wird das Reh als „Döner Rhebab“ serviert; knusprig gegarte Rehschulter in einem selbst gebackenen Mohnweckerl und verschiedenen Kräutern serviert; je nach Vorliebe „mit scharf“ (aus dem Streuer) oder „ohne scharf“. Ein spannendes, abwechslungsreiches Gericht, und ich stelle fest, dass Mohn eine tolle Kombination ist. (8/10)
Es lebe der gute Käsewagen (der heutzutage schon selten geworden ist), und so unkonventionell und modern im Mraz auch gekocht wird, sie haben einen der besten Käsewägen von Wien!
Buttemilcheis, intensive Wlderdbeeren und (essbare) Chianti-Rosen waren Bestandteile dieses feinen Refreshers vor dem eigentlichen Dessert.
Ein wenig gesellschaftskritisch, aber auch Instagram-tauglich wird es dann bei der Almwiese 2050: Im Zentrum eine Creme Brûlée aus Heumilch, darunter getrocknete und dann wieder hydrierte Erdbeeren. Das Heu stammt laut Service wohl von Kaspernde Sima (einen Landwirt und früheren Politiker der Grünen in Österreich) und wurde mit dem Pferd gemäht; darinnen Bilder von Zigarettenstummeln, Kotzsmileys und anderer Müll.
Ds ist ein filigranes, gutes Gericht; einzig schade, dass Plätze in den Alpen auch im Jahr 2020 schon so verfüllt wirken. (7+/10)
Der Wiener kennt und liebt die Schokobananen von Casali; vielleicht eher plump im Geschmack, doch oft eine gelernte und geliebte Kindheitserinnerung.
Bei Mraz wird auch eine solche Casali-Packung gereicht; mittendrin eine etwas hellere Schokobanane, die von „Mrazali“; sie zeigt, wie gut Schokobananen eigentlich sein können.
Nach 14 Gängen von tollem Essen, grossartiger Stimmung, einem hervorragenden Service und toller Musik ist es Zeit, aufzubrechen.
Eine metallisch wirkende Tasche bekommt der Gast noch auf den Nachhauseweg mit; darauf klebt die Speisenfolge des abends, darinnen befindet sich noch der „15. Gang“, eine kleine Süssigkeit.
Das Küchenreise-Rating
In der Cordobar haben Lukas und Manuel Mraz Berlin gerockt, gemeinsam mit ihrem Vater Markus Mraz rocken sie jetzt so richtig Wien: Im Herzen wild gebliebene Rebellen, welche mit jeder Menge Kreativität und in entspannter, lässiger Atmosphäre im Restaurant Mraz & Sohn zwei Sterne im Guide Michelin verkocht haben.
Die Küche im Mraz ist kreativ, sie verwendet ausgewählte Produkte von hoher Qualität; die Gerichte sind oft mit intensiver, doch immer gut austarierter Aromatik, die Umsetzung ist technisch präzise sehr gut gelungen. „Wild at heart“ – man spürt das Feuer, welches in den Personen in der Küche lodert, die Wildheit, und die Vielzahl an anfangs sicher ungestümen Ideen, welche dann aber perfekt entwickelt und umgesetzt werden.
Im Service arbeiten „Persönlichkeiten“ und nicht nur „Personen“, welche den Gast mit Charme, Engagement, und mit „leuchtenden Augen“ und viel Begeisterung durch den Abend führen. Die Atmosphäre im vom Guide Michelin mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurant Mraz ist lässig-entspannt, die Schallplattenmusik im Hintergrund cool.
Restaurant Mraz & Sohn in Wien (A)
Bewertung Essen (?): | 8 / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 5 – sehr gerne wieder |
Guide Michelin: | ** |
Gault Millau: | 18.5 / 20 |
Gusto: | – |
Küchenchef: | Küche: Markkus / Lukas Mraz Service: Manuel Mraz |
Adresse: | Wallensteinstraße 59 A-1200 Wien |
Telefon: | +43-1-330 45 94 |
Web: | mrazundsohn.at |
Kosten: |
Menü EUR 144.44 |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |
Zwei Macarons sind eine feste Größe, die muss man sich erst einmal erarbeiten – und auch, sie zu bewahren, erfordert tägliche Höchstleistung. Dafür meinen größten Respekt.
Leider gibt es für mich einige Kleinigkeiten, die mich in Summe von einem Besuch abhalten – schließlich pendelt sich die Rechnung für zwei Personen mit einem schönen ‚Absacker‘ und Trinkgeld bei fünfhundert Euro ein.
Gang 1:
Den Glückskeks würde ich nicht als Menügang anerkennen, obwohl er als solcher mitgerechnet wird. Auch die Schokobanane ist – bei aller handwerklichen Fertigkeit – eher ein Gag als ein Menügang.
Gang 2: Kreativität in allen Ehren, trotzdem steht mir nicht der Sinn nach unreifen Erdbeeren.
Ich wüsste Leckereres, mit angenehmerem Biss und feiner Säure.
Gang 3: Für ältere Verdauungstrakte ist zu viel Weißbrot das reine Gift. Hier aber hab ich das
vietnamesische Baguette und die Dönersemmel von Gang 10 … statt dessen gäbe es herrliche Gemüse (macht allerdings mehr Arbeit).
Doch der Grund meines Komms ist Gang 13:
Kurz gesagt: Das Auge isst mit. Ekelhaft. Ein Kotz-‘Smiley‘ und Zigarettenkippen!
Nee, liebe Leute, hier ist man mMn total übers Ziel hinausgeschossen. Beim Essen brauch ich keine Gesellschaftskritik. Und die Pferdestory zur Heumilch mit Namensnennung des Bauern ist Kindergarten – oder beeinflusst das doch den Geschmack (Smiley)?
Bliebe ein Grund, doch mal ins ‚Mraz‘ zu gehen: der Käsewagen!! Und vielleicht gäb‘s zum Maibock eine schöne Sauce?
Kollegiale Grüße
Thomas Pfüller
Danke, Thomas, für den ausführlichen Kommentar und das Erläutern Deiner Gedanken!
Auch Restaurantessen (aber auch Lebensmittel) sind heute mehr denn je Storytelling geworden, und so auch hier etwa bei der Heumilch oder beim Michaelhäuplsalat. Schmeckt Essen mit Geschichten besser – wahrscheinlich nicht (auch wenn manch wissenschaftliches Research das Gegenteil indiziert, und zB Heston Blumenthal das in den letzen 25 Jahren zu grosser Meisterschaft entwickelt hat), aber der Abend wird emotionaler (ok, um bei beiden Stories emotional berührt zu sein, muss man Bezug zu der Geschichte der österreichischen Innenpolitik haben), und es bleibt etwas „zum Weitererzählen“ hängen. Ein Kotz-Smiley – Gesellschaftskritik (vielleicht auch, aber ob man die beim Essen so präsentieren muss, sei mal dahin gestellt) oder ein „Aufreger“ (sicher auch, nicht nur hier wird darüber berichtet).
Nun positioniert sich das Mraz mit originellen Gerichtenamen und Zubereitungen (wobei die ganz wilden Zeiten auch schon etwas zurückliegen), und ohne klare Positionierung (vielleicht in etwa „die Wilden“) geht man schnell unter. Was jedoch gesagt sei – das Menü fand ich in Summe auf sehr hohem Niveau gekocht!
Beim Käsewagen wird es auf sehr positive Art ganz klassich – der alleine ist schon ein Grund, das Mraz zu besuchen! Schade, dass die gut bestückten Käsewägen immer seltener werden und sich wohl auch immer weniger rentieren!
Was sind Deine Lieblingsrestaurants in Wien?`