Home Fine Dining Europa Drei Sterne im Frauenknast: De Librije ***, Zwolle (NL)

Drei Sterne im Frauenknast: De Librije ***, Zwolle (NL)

Lasst uns einbrechen!

Der „Frauenknast“ sei der Schlagzeile geschuldet. Assoziationen mit schwülstigen erotischen Filmen der 70er-Jahre oder mit RTL-Serien sind sind dennoch unangebracht, schliesslich sind wir ein seriöser kulinarischer Blog.

Dennoch haben wir uns in ein Restaurant im 1739 erbauten, ehemaligen Frauengefängnis im niederländischen Zwolle verliebt. Würden jederzeit mit einer Feile die Gitterstäbe durchsägen, um hier aus-, nein einzubrechen.

Bei unserem Besuch haben wir uns jedoch für den konventionelleren Weg entschieden. Haben zunächst im Hotel des 2006 von Thèrese und Jonnie Boer erworbenen Gebäudes einquartiert, doch die schweren Zellentüren zu unserem Zimmer nur kurz verschlossen gehalten.

Um uns dann sogleich in den heute überdachten Innenhof des Gefängnisses zu begeben, in welchem nun gross aufgekocht wird. Und wo wir, soviel sei vorweggenommen, jederzeit gerne auch einbrechen würden!

Unser Lunch im Restaurant De Librje in Zwolle

Dort angekommen nahmen wir zunächst in der Lounge Platz und genossen ein Glas Champagner.

Auf der gereichten Menükarte stehen das „Librije Menü“ (fünf bis sieben Gänge, bei unserem Besuch 175 – 190 EUR) sowie à la Carte einige der ’Signature Dishes’ aus der früheren Jahren zur Auswahl.

Das Menü selbst ist in vier Abschnitte unterteilt: Vorspeisen, Zwischengänge (Fisch oder vegetarisch), Hauptgänge (Fleisch oder vegetarisch) und Dessert. In jedem Abschnitt stehen drei mögliche Gänge, jeder Gang ist mit drei Zutaten umschrieben (etwa „Pigeon, kohlrabi, hazelnut“). Anhand dieser Geschmäcker wählen wir unsere gewünschten Gänge frei aus.

In der Zwischenzeit werden auch schon die ersten Grüsse der Küche gebracht. Der Einstieg – ein Tee aus fermentierten Rotkohlblättern mit Chilli. Ein rundes, sehr feines Getränk mit erdigen Noten, einer feinen Schärfe und einer angenehmen Intensität! (8/10)

Anschliessend erhalten wir eine mit der Hand zu verspeisende, in der Schale mit Gewürzsalz geräucherte Kartoffel (ohne Bild). Eine hauchdünne Schale; innen luftig-leicht und in Kombination mit Zwiebel. In seiner Einfachheit ein grossartiges Gericht! (9/10)

Weiter geht es mit einem aussen knusprigen, innen knackig-frischen Shrimp aus der Region mit angenehm scharfer Gewürzmischung, kontrastiert von der salzigen, leicht bitteren Note der ‚Salty Fingers‘. (8+/10)

Als nächste Kleinigkeit folgte eine Auster mit Gänseleber und Ananas.

Was als ungewöhnliche Kombination erscheinen mag, mundete uns Vorzüglich. Das Jod und die Salzigkeit der Auster vermählte sich mit dem Schmelz Gänseleber-„Bröseln“ und der Süsse der Ananas, die Bitternote der Blüten gab einen schönen Kontrast. (9/10)

Mit optischem Wow-Effekt dann die Kabeljauhaut mit Algen und Zitrus, dazu – wenn wir das korrekt in Erinnerung behalten haben – eingelegte, mit Kabeljau gefüllte Zwiebelchen. Im Mund war das ganze fein, doch nicht so überragend wie die vorherigen Kleinigkeiten; und die Haut vom Kabeljau blieb uns eher hart in Erinnerung. (8/10)

 

Nicht nur Kaviar lässt sich vortrefflich vom Handrücken geniessen, auch die Küche von Jonni Boer verzaubert den Gast jedes Mal mit einer am Handrücken angerichteten Kleinigkeit. Ein Tatar vom Rind wird mit Auster, Salat und Kräutern am Handrücken angemacht und kann dann von diesem (oder bei gewissem Kribbeln auch gegenseitig) verspeist werden und schmeckt perfekt. (9/10)

Mittlerweile scheint sogar die Sonne ein wenig durch die dicken Wolken in das Restaurant im überglasten Innenhof.

Ein Brioche-Sandwich mit Pilzen (als creme und als getrocknetes Pulver) und Speck in der abschliessende Gruss. Es ist cremig, schön würzig und rund im Geschmack. (8+/10)

Nordsee-Krabbe mit Kohl und Gänseleber

In der Mitte des Tellers befindet sich ein Kohlblatt, ganz leicht angeröstet und mit etwas „Knack“. Es ist gefüllt mit Nordsee-Krabben, einem Hauch von Ingwer und umgeben mit kleinen Gänseleber-Stückchen – erneut eine famose Kombination von Meeresfrüchten und dem Schmelz der Gänseleber.

Doch so richtig famos wurde das Gericht durch den darüber gegossenen Karottensaft von einer beeindruckenden Konzentration und Intensität; und es ergibt sich in Kombination mit den anderen Elementen einer dieser seltenen Momente des Staunens und ungläubigen Geniessens! (10/10)

Bachsaibling,Tomaten und Shrimps

Am folgenden Teller kombiniert die Küche des De Librije rohen Bachsaibling, Shrimps, kleine Tomatenstückchen, Limetten und Schweinefett. Erneut ein wunderbares Zusammenspiel von verschiedenen Texturen, von der Süsse der Tomate mit der Säure der LImette und der klaren Frische des Fisches. Toll! (9/10)

Langoustine, grüne Bohnen und Kombucha

Die nun folgende Langoustine wurde „Ceviche-Style“ in Salz eingelegt, dann in Kombucha mariniert und zuletzt leicht mit einem Bunsenbrenner angeröstet. Sie wurde kombiniert mit Staudensellerie, Birne, einer Sauce aus grünen Bohnen und einer Mayonnaise von indischem Bumbu.

Das ganze ergab wieder ein phänomenales Gericht, grossartig die Qualität der Langouste, kalte Säure, wunderbar runde Aromen, abwechslungsreiche Texturen wie etwa das knackige der Staudensellerie – toll! (9+/10)

Nun wurde uns ein Brot (mit schon sehr intensiver säure) und eine Butter aus Ziegenmilchgereicht – speziell, doch nicht so absolut überzeugend.

Hühnerei, Macadamia, Sauerampfer

Im nächsten Gericht wurde – wenn wir uns richtig entsinnen – ein Kräutersalat mit Sauerampfer, dazu Macadamianuss und einem Eidotter kombiniert. Das könnte ebenfalls ein grosses Gericht sein, schien von den Proportionen jedoch etwas unausgewogen. Die Säure des Salates war für uns zu dominant, und – wenn auch durch den Eidotter abgeschwächt – drängte die Nuss fast komplett in den Hintergrund. (8+/10)

Im Hintergrund hören wir plötzlich Stille, dann vermehrter Stimmengemurmel. Photos werden an einigen Tischen geschossen. Der Grund – an einem der Nachbarstische hat gerade ein junger Mann der Dame seines Herzens einen Heiratsantrag gemacht. Bezaubernd! Und nach einem Antrag in einem solchen Restaurant kann die gemeinsame Zukunft ja nur grossartig werden! Wir wünschen alles Gute!

Alte Milchkuh, Pilze und Algen

Der nächste Gang ist auch optisch wieder ein Wow-Erlebnis. Zunächst werden einige Elemente – unter anderen, wenn wir uns richtig erinnern, Pilze, Salty Fingers, Aal, einer Creme mit arabischen Gewürzen – in einem Schulterknochen von der Kuh drapiert.

Dann werden heisse Steine, bestreut mit einem Pilzpulver an den Tisch gebracht. Auf diese wird dünn aufgeschnittenes, dry-aged Rib-Eye von einer „alten“ niederländischen ‚Roodbunt‘-Milchkuh platziert,

Am heissen Stein beginnt das Fett im Fleisch zu schmelzen, verbindet sich wunderbar mit dem Pilzpulver; das Fleisch ist oben noch roh, hat auf der Unterseite wunderschöne Röstaromen und ist von vorzüglichem Geschmack. Es wird dann mit den anderen Zutaten vermengt – ein abwechslungsreiches, sehr wohlschmeckendes Gericht, viel Umami, einzig die kalte Säure in den Beilagen ist einen Tick zu dominant. (9+/10)

Taube, Kohlrabi, Haselnuss

Weiter geht es bei unserer Reise durch den Himmel der kulinarischen Genialität. Die Taube aus der Küche von Jonnie Boer ist von perfekter Produktqualität auf den Punkt zubereitet.

Sie wird mit einer Kugel mit Innereien (am Knochen), einer Haselnusscreme und halben Haselnüssen wie auch einem feinen Kohlrabijuice zu einer aussergewöhnlichen Speise vollendet. Ein filigranes, warmes, wunderbar fein ziseliertes Gericht, toll!! (10/10)

Grüne Erdbeere im „Thai-Curry Style“

Der nächste Gang demonstriert, wie man aus grünen, noch unreifen Erdbeeren in Kombination mit in das schärfliche gehende Aromen des „Thai Curries“ eindrucksvoll kombinieren kann. (8+/10)

 Gänseleber, Wassermelone ’spicy‘ und Pistazie

Nun erhalten wir eine indisch-scharf abgeschmeckte Wassermelone mit Gänseleber, Pistazie und am Tisch darüber geriebenem Ziegenkäse. Dies ist kein filigraner, sondern ein kraftvoller Gang der Extreme, wieder mit viel Säure, fast schon etwas unausgewogen. (8+/10)

Rote Bete, Kerbel, Lakritze und Pandan-Reis

Im finalen süssen Gang des Menüs wurden dann Kerbeleis mit säuerlicher roter Beete, süsser Lakritze und mit Pandan-Reis kombiniert – ein ansprechendes Dessert der „neuen Schule“! (8/10)

Für die Petit Fours und den Kaffee übersiedelten wir dann in den kleinen Garten beim Restaurant.

Im Hintergrund sehen wir den Chef des De Librije, Jonnie Boer beim Giessen in seinem Kräutergarten. Und jedes Mal, wenn seine Augen einen Blick auf sein Motorrad fallen, seinen sie besonders zu strahlen.

Wir nehmen auf einer der bequemen Sitzbänke Platz und geniessen die noch wärmende Sonne. Am Abend gibt es hier wohl auch offenes Feuer.

Und schon werden uns verschiedene Kleinigkeiten gebracht.

Zunächst sind da die grossartigen, auf einer Art Baumstamm präsentierten Pralinen. Die Braunen sind „bitter“ mit Pilzen und dunkler Schokolade, die Schwarz-Grünen sind „salzig“ mit Fichte, Salz und Karamell, die Schwarz-Weissen „säuerlich“ mit Wacholder und Zitrone, die Weissen „süss“ mit Holunder und weisser Schokolade.

Auch die gereichten Waffeln sind vorzüglich.

Und schliesslich ist da der Eiskaffee – gefrorenes Kaffeeeis mit Krokant, präsentiert auf einem kleinen Eisbeutel. In Summe ein geschmacklich grossartiger Abschluss eines beeindruckenden Menüs! (9/10)

Das Librije’s Hotel

Im selben Haus wie das Restaurant befindet sich auch das Librije’s Hotel, welches mit fünf Sternen ausgezeichnet ist. Die Zimmer sind in den ehemaligen Gefängniszellen untergebracht und jeweils individuell gestaltet.

Unser Zimmer wirkt zwar mit Holz hinter dem Bett und an der Decke ein wenig rustikal, meist sind die Räume aber sehr modern eingerichtet; in immer in bester Qualität.

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Auch die kleinen Details gefallen, wie etwa ein weisser Schlafmantel für die Dame, ein schwarzer Schlafmantel für den Herren.

Grosszügig und schön auch das Bad.

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Hier noch en Blick auf die Zimmer- bzw. die ehemaligen Zellentüren. Ob es sich bei den Gesichtern hinter den Gittern wohl um die jeweiligen Insassen handelt?

Wenn ihr im Hotel übernachtet: Das extra zu buchende Frühstück ist nicht ganz günstig, aber absolut eine Empfehlung wert. Eine Anzahl vorzüglicher kleiner Gänge werden Euch dort an den Tisch serviert; vom Brioche mit Ziegenkäse bis zum Bella Burger (der wohl ursprünglich auf Anregung der kleinen Tochter entstanden ist).

Unser Küchenreise-Rating

Im Restaurant De Librije in Zwolle haben wir unser vielleicht bestes Menü im Jahr 2015 genossen!

Die Küche von Jonnie Beur überzeugt mit einer Menge Kreativität, mit allerbesten Zutaten und mit höchst präzisere Zubereitung. Die aufwändig gestalteten Teller gefallen nicht nur optisch, sondern basieren auf einem tiefen kulinarischen Verständnis und überzeugen mit Geschmack, Harmonie, abwechslungsreichen Temperaturen und Texturen, einem schönen Zusammenspiel von Süsse und Säure. Uns gefällt die eigenständige Stilistik, die moderne Linie, die grossartigen Kompositionen!

Das Restaurant wurde vom Guide Micheln mit drei Sternen und vom Gault Millau mit 19.5 Punkten ausgezeichnet. Die Atmosphäre im Restaurant selbst unter der Service-Leitung von Thérèse Boer ist, wie so oft in den Benelux, wunderbar entspannt und unkompliziert.

Ja, die „3 Sterne im Frauenknast“ sind absolut berechtigt. Und hier würden wir jederzeit gerne einbrechen!

 Restaurant De Librije, Zwolle (NL)

Bewertung Essen (?): 9+ / 10
Küchenreise-Rating (?): 5 – unbedingt wieder
Guide Michelin: ***
Gault Millau: 19.5 / 20
Gusto: .
Küchenchef: Jonnie Boer
Adresse: Spinhuisplein 1 NL-8011 ZZ Zwolle
Telefon: +31-38-421 20 83
Web: www.librije.com
Kosten (Rechnung): 550 EUR (2 Personen)
Angekündigter Besuch (?): Nein
Einladung (?): Nein
Extras (?): Nein
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung.

Blogroll: Was schreiben andere?

ElizabethOnFood (2015, Englisch) De Librije
Be Gusto (2015, Niederländisch) De Librie
StefanGourmet (2015, Englisch) De LIbrije
Sternefresser (2014) Die LIebe zur Librije
Das Filet (2013) Big in Japan
Elizabeth on Food (2013) Victor’s Fine Dining

2 COMMENTS

  1. Genialer Bericht und tolle Fotos: iPhone oder „echte“ Kamera?
    Zum Kohlblatt mit Krabben möchte ich Euch recht geben. Es sind genau diese Gerichte, an die man sich noch Jahre erinnern wird und deswegen solche Momente und die Spitzenküche so unvergleichlich und bedeutsam machen.

    Wie sieht es mit den Reservierungen aus? Schwierig oder gut planbar? 550 EUR ist ja auch wirklich günstig – ich gehe davon aus ohne (bzw. gemäßigter) Weinkonsum?

    • Danke!

      Die Fotos sind nicht mit iPhone, aber mit Kompaktkamera (Lumix LX-100) – ich mag keine richtig grossen Fotoapparate dabeihaben und das Bild soll schnell / ohne grosses Aufsehen vor dem Essen gemacht werden, kein Fotoabend inszeniert werden… Aber wir waren Mittags dort, das Restaurant ist in mit Glas überdachtem Innenhof, dh das Licht super – das hilft den Bildern..

      Reservieren – wir haben für Samstag Mittag gut ca. 1 Woche vorher einen Tisch bekommen (war dann aber auch voll), hab auch schon vorher geschaut, scheint auch sonst so zu sein. Fr/Sa Abend wirkt dagegen lange vorher ausgebucht…

      Preislich für das gebotene wirklich recht günstig; wir hatten (etwas abgekürzte) Weinbegleitung.. Dh wenn Du mal vorbei kommst – wir können einen Besuch empfehlen 🙂

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