„Brutal lokal“, moderne Gourmetküche auf regionaler Basis, gibt es das auch in Kroatien?

Auf den ersten Blick nein. Vielleicht arbeiten die in dieser Richtung talentiertesten Chefs irgendwo im Ausland. Vielleicht ist die Nachfrage auch eher nach Fisch an der Küste und günstigen Fleischplatten im Landesinneren, und wenn schon Gourmet, dann in einer kleinen Nische an international orientierten Restaurants mit teurem Bordeaux auf der Weinkarte?

Doch halt: In Zagreb hat mich Chef Tvrtko Šakota in seinem Restaurant NAV mit einer modernen, kroatischen Küche überzeugt!

Wer nicht weiss, wonach er sucht, würde am Restaurant vorbeilaufen. Das NAV liegt versteckt im Hinterhof eines im Zentrum von Zagreb gelegenen Gebäudes. Und hat man den Weg dorthin erstmal gefunden, steuert man erleichtert das hellerleuchtete Lokal im Erdgeschoss an, um dann festzustellen, dass man doch nicht am Ziel ist: Das Restaurant NAV sich versteckt nämlich, über eine Stiege erreichbar, im 1. Stock des Hauses.

Doch dann am Ziel angekommen, findet man sich in einem bezaubernd eingerichteten, kleinen Restaurant mit Tischen aus dunklem Holz, bequemen Sesseln, einem Blick in die verglaste Küche und sehr sympathischem Service wieder.

Am Abend des Besuches des vom Gault Millau mit 16.5 Punkten ausgezeichneten Restaurants war eine Person im Service ausgefallen; Chef Tvrtko Šakota – auch im Normalfall schon zwischen Küche und Gastraum wechselnd – ist heute noch mehr im Gastraum. Und seine Begeisterung über die Qualität ausgewählter kroatischer Produkte, über die Zusammenarbeit mit seinen Lieferanten, über die kulinarische Geschichte des Landes und die Modernisierung der Gerichte in seiner Küche ist mehr als ansteckend!

Da bleibt wenig andere Wahl als das grosse Tasting Menü mit 12 (eigentlich dann 15) Gängen zu wählen; was – wie sich herausstellen wird – von der Menge gut im Rahmen bleibt, dafür aber eine grossartige Präsentation kroatischer Produkte und der Möglichkeiten, traditionelle kroatische Rezepte auf eine moderne Basis zu stellen.

Zum Einstieg ein kleines Stück Käse – leicht wie Seidentofu – mit Amaranth-Samen von einem lokalen Farmer, Bienenpollen und Sojasauce. Ein sehr spannender und wohlschmeckender Start!

Statt Blinis mit Kaviar nun ein herausgebackenes Sauerteiggebäck mit intensivem Geschmack, darauf seltene lokale Linsen (der kroatische „Kaviar“) und eine Art fermentierte Sour Cream – köstlich!

Der nächste Gang dreht sich dann um den Kürbis: Ein Kürbismousse, geröstete Kürbiskerne, dehydrierte Scheiben der Frucht beträufelt mit einem selbstgemachten Kürbiskernöl, – das ist würzig (und nicht etwa süsslich / pappig wie bei manchem Kürbisgericht) und gar nicht eindimensional.

Nun folgt eine Art Zigarre, ein Röhrchen gefüllt mit einer Creme aus roten Bohnen, einem Tick Schärfe von Chilly, Petersilie und ein Hauch Säure von Zitrone. Das ergibt zwar ein recht fülliges Gericht, doch Chili und Zitrone lassen es leichter und lebendig wirken.

Danach dann Topinampur, gefüllt mit Sellerie, einem Kohlblatt, Pulver vom Schnttlauch und Tomate – das ergibt eine rauchig-erdiges Geschmacksbild mit Süsse und ein wenig Schärfe, ausgezeichnet!

Es wäre schön, könnte ich hier all die Geschichten zu den lokalen Produzenten wiedergeben, mit denen Tvrtko Šakota zusammenarbeitet; doch dann wäre dieser Artikel um ein vielfaches länger. Zwei Fakten möchte ich jedoch berichten; die Produkte am Teller sind durchgängig von sehr guter Qualität und ausgezeichnetem Geschmack, und die Fachkenntnis und Euphorie des Chefs sind ansteckend.

So ist auch die nun folgende Süsskkartoffel mit Eidotter, Rucola und Körnern ein sehr ansprechendes Wohlfühlgericht!

Weiter geht es mit Corzetti (eine runde Pasta, ursprünglich aus Ligurien, bei welcher der Teig mit einem Stempel geformt wurde) mit Bio-Eiern aus den kroatischen Papuk-Bergen, einer Walnuss-Miso-Sauce (die Misosauce mit hilfe des selbstgemachten Sauerteiges aus der eigenen Küche angesetzt), eingelegtem Kohlrabi und schwarzem Trüffel aus Kroatien. Das ergibt wunderbar runde Walnussaromen, welche schön mit der Trüffel harmonieren, und ein schönes, fast jedoch etwas einseitiges erdiges Geschmacksbild.

Sardine mit Mangold und Feigenhonig – das ergibt ein abwechslungsreiches Spiel vpon Fischgeschmack, Süsse und Säure, sehr ansprechend!

Dry-aged Schwertfisch in grüner Curry-Sauce, Fenchelöl und Rübe – eine Kombination von vorzüglichem Fisch mit runder, angenehmer Schärfe des Curries.

Schmorgerichte aus dem Steintopf, das hat in Kroatien Tradition. Tvrtko Šakota hat in diesem Gang Fleisch von einem sieben Jahre alten Rind gewählt (etwas, was man in Kroatien höchst selten aus lokaler Produktion findet), was dem ganzen noch mehr und tiefgründigeren Geschmack gibt; in Kombination mit dem Reis und der leichten Schärfenote ist das ein grossartiger Eintopf!

Auch beim nun folgenden Schwein handelt es sich um eine Besonderheit, eine alte Schweinerasse von einem Produzenten ganz aus der Nähe und mit grossartigem Geschmack; kombiniert wird dieses mit einer tiefgründigen Sauce und dem Grün von roter Beete.

Jeder kennt sie, die Ćevapčići, eine beliebte Speise in Südeuropa. Im Restaurant NAV wird ein Ćevapi aus dry-aged Beef auf Kartoffelpüree und fermentiertem Ajvar serviert; der nussige Geschmack des Fleisches harmoniert wunderbar mit den anderen Zutaten, das ist ein hervorragendes Gericht!

Als erster süsser Gang dann ein knackiges Kürbiskannelone mit einer Mandarinen-Zitrusfüllung; ein tolles Gericht mit schöner Bitternote im Wechselspiel mit den Zitrusnoten und ansprechender Süsse.

Fast schon zu mastig und zu grosszügig portioniert ist dann die Haselnusscreme, welche mit Granatapfel und Honig kombiniert wird.

Zum Abschluss dann eine Art herausgebackener Krapfen mit einer salzigen Karamellcreme und einem aus violetter Kartoffel gewonnenen „Zucker“ – ein schöner Abschluss

Das Küchenreise-Rating

Wer eine spannende, moderne Version der kroatischen Küche kennenlernen möchte, dem sei das Restaurant NAV in Zagreb mehr als empfohlen! Die kreative, moderne kroatische Küche mit erstklassigen lokalen Zutaten hat mich überzeugt.

Die kroatische Küche hat Geschichte, und sie hat Potential für modern weiterentwickelte, sehr eigenständige Gerichte. Und Chef Tvrtko Šakota nutzt dieses Potential mit einer Menge Kreativität; er arbeitet eng mit den wenigen lokalen Produzenten aussergewöhnlicher Produkte zusammen, ist voll Leidenschaft für historische Rezepte und deren moderne Interpretation. Er kombiniert das beste aus zwei Welten: Seiner kroatischen Herkunft und seinen langjährigen Erfahrungen in der internationalen Gastronomie.

Die Gerichte sind fokussiert auf wenige, qualitativ hochwertige Produkte; sie sind geschmacklich gut abgestimmt und gefallen mit dem Spiel der Geschmäcker in Kombination mit Süsse, Säure und Schärfe. Die Aromen sind klar, die Texturen abwechslungsreich.

Das kleine Restaurant mit Raum für etwa 25 Personen ist stilvoll, doch unkompliziert eingerichtet; die Tische aus dunklem Holz und ohne weisse Tischtücher. Der Service mag nicht mit der perfekt-geometrischen Ausrichtung des Besteckes am Tisch glänzen, doch er agiert sehr sympathisch, mit Fachwissen und transportiert gleichfalls Begeisterung und Leidenschaft zu den Produkten. Auf der Weinkarte auch eine gute Auswahl an spannenden kroatischen Weinen.

Restaurant NAV, Zagreb (Kroatien)

Bewertung Essen (?): 7 / 10
Küchenreise-Rating (?): 5 –  sehr gerne wieder
Guide Michelin:
Gault Millau: 16.5 / 20
Gusto:
Küchenchef: Tvrtko Šakota
Adresse: Masarykova 11
HR-10000 Zagreb
Telefon: +385-1-202 9961
Web: nav-restaurant.com
Kosten:

Lunch 5 Gänge KN 390 / 7 Gänge KN 490; Dinner 10 Gänge KN 690, 12 Gänge KN 790
Weinbegleitung zwischen 220 KN (5 Gläser) und 490 KN (12 Gläser)

Angekündigter Besuch (?): Nein
Einladung (?): Nein
Extras (?): Nein
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung.
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