Die Handschrift auf dem Papier, zu Schulzeiten soll sie den Normen und Vorgaben entsprechen, später wird sie ein Ausdruck der Persönlichkeit.

Die kulinarische Handschrift, zunächst gilt es, das Küchenhandwerk zu erlernen. Grosse Köche entwickeln dann ihre eigene Handschrift.

An Orten wie dem Steirereck (Bericht) in Wien hat Sebastian Frank das Kochen erlernt. Seit 2010 in Berlin, hat er im vergangenen Jahrzehnt darauf aufbauend eine der eigenständigsten und aufregendsten kulinarischen Handschriften im deutschsprachigen Raum entwickelt!

Eine starke literarische Handschrift hatte Ödon von Horváth, Schriftsteller östereichisch-ungarischer Herkunft und Namensgeber des vom Guide Michelin mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurants von Frank Frank und seiner Partnerin Jeannine Kessler.

Ein Zitat aus seinem Theaterstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ liegt als Referenz auf einem Kärtchen am Tisch. Auch zu jedem Gang wird später ein Kärtchen gebracht, dort mit der Beschreibung der Zutaten und Zubereitung.

Sebastian Frank ist in jenem Wienerwald geboren, und er ist in Ostösterreich aufgewachsen. Seine Gäste entführt er auf eine Reise durch seine Heimat, ehemals der „Schmelztiegel“ der k. u. k. Monarchie und damit die Geschmäcker von Mittel- und Osteuropa vereinend.

Happen „Wiener Prater“

Kaiser Joseph II. gab im späten 18. Jahrhundert den Wiener Prater, vormals kaiserliches Jagdrevier, als Erholungsraum für die Bevölkerung frei. Ein kleiner Teil davon wurde zum ‚Wurstelprater‘, einem Vergnügungspark.

Nach anstrengenden Autodrom- und aufregenden Geisterbahnfahrten verlockt dort die (manchmal im Prater die Schule schwänzenden) Kinder der Duft von Lángos, einem ungarischen im Fett heuausgebackenen Fladenbrotes, welches mit viel Knoblauch, manchmal auch Käse oder Sauerrahm bestrichen wird.

Daran – doch viel filigraner – knüpft Sebastian Frank bei seinem ersten Gruss an; sein auf einem Tupfen Sauerrahm gebrachter Lángos aus Kartoffel-Hefeteig ist mit Knoblauchöl fein aromatisiert und mit Bergkäse bestreut. Ein herzhaftes Gericht, welches bei manchen Erinnerungen, bei allen jedoch Wohlgefallen auslöst.

Servus aus der Küche: Frühstückssackerl

Beim ordnungsgemässen Besuch der Schule war Lángos natürlich keine Option. Von zu Hause gab’s da ein Frühstückssackerl mit! Vielleicht war dieses mit einem Kümmelweckerl mit Frischkäse gefüllt.

Doch as beste waren, nach Verzehr des Weckers, die Brösel und Reste unten im Sackerl. Die Küche hat dies beim nächsten „Servus aus der Küche“ rekonstruiert, eine Frischkäsecreme wird mit eingelegten Zwiebeln, einem Kümmelsafterl und einer gerösteten Körnermischung kombiniert.

Zuhause gab’s dann für die Wiener Schüler oft dunkles Brot mit Butter, oder einen Erdäpfelstampf mit Kümmel. Perfekter als selbst in jeder romantisierten Erinnerung daran ist das nun folgende Roggenbrot mit schöner Säure und richtig knuspriger Kruste, und zum „ich will nie aufhören“ sind die gestampften Kartoffeln mit sündiger Nussbutter und Kümmel.

Servus aus der Küche – Keine Hühnersuppe

Die Hühnersuppe von damals, die ist heute „keiner Hühnersuppe“ gewichen: ein Seitlingswasser glänzt mit Umami und Geschmack und ist eine schöne Alternative zu einer klassischen Hühnersuppe, wenn auch geschmacklich eigenständig.

Pilzleber – Butterstriezl, Marillenkernölbutter
Butterstreizl mit Marillenkernölbutter

Nach den diversen Küchengrüssen startet nun das eigentliche Menü mit einer Pilzleber, und ja, es handelt sich um eine Art vegetarische Variante der Foie Gras.

Die Basis sind rohe Kräuterseitlinge, sie werden zunächst zu einer glatten Paste verarbeitet und im Butter ausgebraten, um dann, wie das Kärtchen mit der Beschreibung am Tisch verrät, texthell soweit verändert zu werden, um an Foie Gras zu erinnern.

Die falsche Leber ist cremig, schwer und intensiv; geschmacklich anders als eine Foie Gras, aber ja, textgrell ist das eine sehr spannende Annäherung. Die äussere Hülle ist fester, mit mehr Gelantine-mässiger Konsistenz, darüber eine Reduktion vom Apfel-Balsam Essig – süss mit einem Ticken Säure – von Gölles aus der Südsteieramark.

Gut wird das Ganze begleitet von einem Butterstriezl (dem ‚österreichischen Brioche‘) mit Marillenkernölbutter. Kein leichtfüssiger Start, aber eine höchst spannende Alternative zu Gänselebergerichten (8+/10)

Kreation Populaire – Zwiebelschmalz, Dörrzucchini, Gurkensalat

In den Topf Schweineschmalz, dann werden die Zwiebeln darin angeschmort. So starten viele ostösterreichische Rezepte.

In der Kreation Populaire nimmt Sebastian Frank dieses Geschmacksbild auf: Eine Emulsion von Schmalzzwiebeln ist dessen leichte, filigrane Variante, und – anders als in vielen österreichischen Klassikern – die einzige tierische Komponente dieses Gerichtes. Die Emulsion, sie ist der Hauptdarsteller, wird kombiniert mit Zucchini: diese wurden gegrillt und gedörrt, und dann mit Chardonayessig lackiert und geben einen schönen Kontrast. Das Resultat ist auf einzigartige Weise faszinierend, sehr eigenständig und überzeugend.

Famos ist auch der geeiste Gurkensalat mit Kräutern: Erfrischende Kälte, geschmacklich komplex und die Gurkenaromen wunderbar intensiv. (9/10)

Erster Stich – Sahnerahm, Paprika, Knoblauch-Kümmelessig

Was liebt Sebastian Frank am meisten? Als allererster die perfekte Oberfläche des Sauerrahmes in einem frisch geöffnetem Becher mit dem Löffel anzustechen. In der Kindheit nur zu toppen durch ein „Fru Fru“, bei welchem sich unter dem Sauerrahm noch ein wohlschmeckender Fruchtzusatz befand.

Faszinierend, wie die Küche dem Gast erlaubt, dieses Erlebnis mit nur drei auf einem kleinen Holzbrett servierten Komponenten nachzuvollziehen. Da ist der Sauerrahm: Sahne wurde mit Joghurtbakterien über nacht bei 40 Grad gelagert, und diese dann bei 45 Grad gestockt. Perfekt glatt die Oberfläche im kleinen Schälchen.

Zuerst empfiehlt es sich, dies pur zu verkosten. Und dann in aromatisierter Variante: Auf den Löffel links mit einer Paprikareduktion mit Minzinfusion noch Sauerrahm geben, dann den restlichen Sauerrahm mit dem Inhalt des Schälchens rechts, einem Sirup von Knoblauch-Kümmelessig, vermengen und verzehren.

Trotz der schlechten Akustik im Raum scheint es mir, als ob plötzlich die Lautstärke zurückgeht, dies ist ein fast schon ein meditatives Erlebnis. Sanft und seidig der Sauerrahm, bitter-fruchtig die Paprikacreme, herb und fruchtig der Sirup. Toll! (8+/10)

Winterlauch – Bergkäse, eingelegte Herbsttrompeten, Maränenkaviar

Puristisch angerichtet ist der nächste Gang: Dunn Streifen vom inneren des Winterlauches, in Essig eingelegte Kohlrabiblätter, Maränenkaviar. Im Mund ist das, vermischt man die Zutaten, ein geniales Gericht: der Winterlauch ein absoluter Wohlfühlgeschmack, der Kohlrabi gibt knackige Frische, der Maränenkaviar Säure und Salzigkeit. (8+/10)

Rahmschwammerl – Gedämpftes Weißbrot, geröstete Hefe

Rahmschwammerl – nun wieder ein sehr österreichisch basiertes Gericht. Im Wirtshaus gibt es dort im Herbst oft deftige Semmelknödel mit einer Schwammerlrahmsauce.

Sebastian Frank dekonstruiert dies und hebt es auf einen kulinarisch neuen Level: An Pilzen sind da Seitling (in Mandelöl gedämpft), Champions (in grünem Veltliner geschmort) und ein Pilzschmorsud mit Majoran und Kirschkernöl.

Der Semmelknödel wird durch eine gedämpfte Weissbrotscheibe mit gerösteter Hefe ersetzt. Diese „nehmen und über dem Teller mit den Schwammerln zerbrechen“ lautet die Anweisung.

Schon der Geruch der Pilzsauce schreit „mehr, mehr, mehr!“, im Mund ist das die perfekte Inszenierung des Pilzes basierend auf diesem österreichischen Geschmackspilz. Der „Semmelknödel“ harmoniert dazu wunderbar, ist aber grosszügig proportioniert gegenüber den Pilzen. Dennoch ein grossartiges Gericht! (9/10)

Sellerie reif und jung – Knollensellerie, 12 Monate im Salzteig gereift mit Selleriebéchamel

Zu einem Klassiker und Signaturen Dish im Restaurant Horváth hat sich die Sellerie reif und jung entwickelt. Sie kann als zusätzlicher Gang in das Menü integriert werden.

Am Tisch beschreibt Sebastian Frank die Entstehungsgeschichte der Salzsellerie, und wie er und sein Team mit verschiedenen, zeitmässig aufwendigen Experimenten die optimale Rezeptur fanden, damit die Konsistenz der Sellerie geeignet ist, um über ein Gericht gerieben zu werden und dieses damit zu aromatisieren.

Eine Sellerieknolle wird im Salzteig gebacken und dann über 12 Monate im Keller (anfänglich auch in jenem der Privatwohnung) gereift. Dabei sammelt sich die verbleibende Flüssigkeit der Sellerie im Salzteig unten, daher wird diese anfänglich täglich, später dann wöchentlich und schliesslich monatlich gewendet. Durch den Wasserentzug schrumpft die Sellerie und verändert ihre Konsistenz.

Am Teller dann gedämpfte Selleriescheiben, geröstete Selleriesaat und eine Selleriebéchamelsauce, darüber wird dann die 12 Monate im Salzteig gereifte Sellerie gerieben.

Das Resultat inszeniert das Produkt Sellerie in allen seinen geschmacklichen und textgrellen Facetten, grössartig! Und für jene, welche sich in der Zubereitung selbst mal versuchen wollen, gibt’s auch ein Päckchen mit Selleriesamen dazu. (9/10)

Geräuchertes – Doldenblütler, Senf, Quittenauszug

Auf den ersten Blick wirkt der folgende Teller, als wäre nun der Fleischgang an der Reihe. Doch gefehlt, der Hauptdarsteller beim „Geräuchertes“ ist ein lackierter und vier Tage geräucherter Knollensellerie. Kombiniert wird der Sellerie mit einer Quittenreduktion, mit gerösteter Senfsaat mit Pastinakencreme und weisser Schokolade und mit Schnapsmarmelade mit einem Gewürz von Doldenblütlern.

Die Knollensellerie überzeugte, gefiel mit Räucher-/Selcharomen und liess mich Fleisch nicht vermissen, die Sauce schien mir aber auf der zu süssen Seite und in Verbindung mit der Rauchigkeit eher eindimensional. (7/10)

Bittersalate – Salziges Sauerrahmeis, Kartoffelbiskuit, Flusskrebskaramell

„Crazy“ wird es dann beim nächsten Gang: Da ist ein salziges Sauerrahm-Eis, in welches Bittersalate und Zitronenzesten eingearbeitet sind. Dessen Salzigkeit, Kühle und Bitterkeit steht in starkem Kontrast zur süssen Flusskrebisbisque-Karamellsauce drumherum. Doch Kontraste ziehen sich an, und deswegen funktioniert die Kombination hier auch so gut – Salzigkeit und Bitterkeit, Säure und Süsse. Das ergibt eine aufregende, grossartige, wenn sicher auch polarisierende Kombination.

Dazu gereicht wird in einem weiteren Schüsselchen ein Kartoffelbiskuit mit geschmortem Radiccio und einer Leindotter-Honigvinaigrette. Hier statt Kontrasten mehr Harmonie, doch das erlaubt es, die Geschmackspapillen zwischendurch wieder zu erden.

Ein Spiel der Extreme, jeder Bestandteil für sich die Normen überschreitend, doch in der Kombination famos! (9/10)

Sliwowitz und Seleskowitz – Salzzwetschken, Caféaromen, Aspik

Louise Seleskowitz war eine Wiener Kochbuchauthorin des 19. Jahrhunderts und akribische Dokumentatorin der Rezepte dieser Zeit. Der nächste Gang wird nun beim Tisch angerichtet, die Neuauflage ihres Werkes „Wiener Kochbuch“ liegt dabei auf dem Wagen, den der Service bringt.

Sliwowitz, das ist jener serbische Zwetschgenbrand, welcher in Wiener Wirtshäusern des 19. Jahrhunderts zur gezielten Erhöhung des Alkoholspiegels keinesfalls unbeliebt war. Am Teller „Sliwowitz und Seleskowitz“ befindenden sich Reste der Salzsellerie, welche mehrere Wochen in Sliwowitz eingelegt wurde, dazu Zwetschkenröster; geröstetes Mehl; Kaffeesatz aus Wurzelgemüse und geröstetem Mohn; eine Sauce aus Fleischaspik ‚Seleskowitz‘, Kaffee und Suppengewürzen; und ein geeistes Öl von Steinobst. Eine gefällige Kombination. (8/10)

Blutpraline

Zum Abschluss eines grossartigen Menüs dann noch ‚wie immer‘ die Blutpraline. Für manche ein Schocker, aber für jene, welche sich darauf einlassen, eine spanende Alternative zu den üblichen Petit Fours.

Der Österreicher Sebastian Frank hat im Berliner Restaurant Horváth eine einzigartige kulinarische Handschrift entwickelt!

Die Basis – österreichische und mittel- / osteuropäsche Geschmacksbilder. Keine „Luxuszutaten“, sehr wenig Fleisch und Fisch (und wenn, dann oft in Saucen etc. verarbeitet). Und die in dieser Küche sehr präsente Sellerie.

Der Rahmen – Storytelling. Man taucht ein in die Kindheitsgeschmäcker des Sebastian Frank, und in die Gerichte der k.u.k. Monarchie des 19. Jahrhundert. Den Bezug zu finden ist sicher noch einfacher für jene mit Bezug zu dieser Region, doch auch alle anderen werden mit den Geschichten und Erklärungen am Tisch und auf den kleinen Kärtchen gut abgeholt.

Die Küche – das ist kein Mainstream, und auch anders als das, was man sonst als Avantgarde kennt. Die Gerichte sind ungewöhnlich, überraschend und doch stimmig. Sie sind technisch perfekt umgesetzt und überzeugen manchmal mit filigranen Aromen, oft aber mit intensiven, klaren Geschmäckern.

Das Ambiente – es erinnert an ein gehobenes Wiener Gasthaus. Gut, die Akustik ist schlecht, aber das wird durch den Charme der Räumlichkeiten, das dunkle Holz, den Kerzenschein mehr als wett gemacht. Und Berührungsängste vor dem „Sternetempel“ wird hier niemand haben.

Der Service – überzeugend, kompetent und präsent. Auch Sebastian Frank bringt immer wieder mal ein Gericht an den Tisch und nimmt sich die Zeit, die dazugehörigen Geschichten zu erzählen oder auch mal Fragen zur Geschichte des Gastes zu stellen.

Die Weinbegleitung – sie gefällt und inspiriert mit vielen Weinen osteuropäischer und österreichischer Herkunft.

Die Chance – im Horvát gibt’s zwar keine Foie Gras und auch keinen Störkaviar, dafür sind die Preise im Vergleich zu anderen zwei- oder drei-Sternen in Berlin noch auf der akzeptableren Seite. Ein über 50% höherer Menüpreis als vor 5 Jahren zeigt den Einfluss von Personalknappheit und Inflation, dennoch bewegen wir uns hier noch unter EUR 250 für das Menü und nicht bei knapp 300 EUR oder mehr.


Sebastian Frank hat im Horváth eine einzigartige und individuelle Handschrift gefunden; so individuell, wie sie nur ganz wenige Köche im deutschsprachigen Raum haben. Die 10 Punkte im Gusto sind wohlverdient, die zwei Sterne im Guide Michelin eine gute Basis – es wird sich zeigen, ob er auch dort den Weg noch weitergehen wird!

Das Küchenreise Rating

Eine einzigartige kulinarische Handschrift hat Sebastian Frank im Berliner Restaurant Horváth entwickelt. Seine moderne, auf österreichischen und mittel- / osteuropäischen Geschmacksbildern basierende Küche brilliert auf sehr hohem Niveau!

Restaurant Horváth in Berlin (D)

Bewertung Essen (?): 9 / 10
Küchenreise-Rating (?): 5 – sehr gerne wieder
Guide Michelin: **
Gault Millau:
Gusto: 10/10
Küchenchef:

Sebastian Frank

Adresse:

D-10999 Berlin, Paul-Linke-Ufer 44A

Telefon: +49-30-612 899 92
Web: restaurant-horvath.de
Kosten:

Menü 8 Gänge: Mi/Do EUR 215, Fr/Sa EUR 245; Weinbegleitung EUR 176, Getränkebegleitung EUR 120
Menü 6 Gänge: Mi/Do EUR 196, Fr/Sa EUR 220; Weinbegleitung EUR 131, Getränkebegleitung EUR 90

Angekündigter Besuch (?): Nein
Einladung (?): Nein
Extras (?): Nein
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung.

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