„Junge Römer – tanzen anders als die andern“ sang Falco vor mittlerweile 35 Jahren. „Die Nacht ist jung wie ihr, vergesst das Morgen“.

Man könnte meinen, zwei junge, in Rom lebende und schon in der Welt herumgekommene Chefs – Giuseppe Lo Iudice und Alessandro Miocchi – haben sich genau dieses Motto bei der Gründung der Retrobottega zu Herzen genommen.

Traditionen? Die werden gerne über Bord geworfen. Vorne im Restaurant isst man modernisierte italienische Küche an zwei grossen Gemeinschaftstischen. Und im hinteren Teil des Restaurants – die Nacht ist jung – geniesst man das 20-gängige Menü am Chef’s Counter für 6 Personen.

Carote, sedano e senape (Carrots, celery and mustrard)

Bei meinem Besuch ist es lebhaft und bunt im Restaurant, und am Chef’s Counter findet sich eine römisch-internationale Mischung ein. Alle geniessen den kulinarischen Groove des Abends, einzig die exaltierte, wie auf Drogen wirkende junge Amerikanerin erklärt der Dame im Service ausführlich ihre Laktose-Intoleranz – eine Herausforderung bei 20 bunt gemischten Gerichten. Das hätte es bei Falco nicht gegebene (die Laktose-Intoleranz).

Das 20-gängige Menü ist mit EUR 110 bereits, dazu wird eine wirklich kreative Getränkebegleitung mit Wein, Bier und dem einen oder anderen Cocktail für wohlfeile EUR 50 angeboten.

Und schon geht es los mit einem Gruss aus der Küche, einem feinen Brotchip mit Majonaise.

Carote, sedano e senape (Carrots, celery and mustard)

Ein guter Start dann die Stangensellerie mit Senfsamen und einer Karottencreme; schön herausgearbeitet das Aroma und die Frische der Stangensellerie mit einer dezent abrundenden Note der Karotte. Ein Tick mehr Säure hätte das Ganze vielleicht noch weiter hochkatapulitiert, doch auch so sehr gut! (6+/10)

Asino, telline ed uva fragola (Donkey, clams and fox grape)

Hervorragend das Tatar mit kleinen Muschelstückchen und Weintrauben, runder und guter Fleischgeschmack, diesmal auch mit einem Tick lebendiger Säure. (7+/10)

Manzo, lamponi ed elicriso (Beef, rasberries and helichrysum)

Nach „Sgombro, Peperoni e fichi (Mackerel, sweet peppers and figs)“, einer grossartigen Makrele, dazu gehäuteter Paprika und dezente Feige (7/10) und „Zuccine, Largo e prägen (Zucchini, lard and prunes)“, einer intensiv-grünen Zucchini-Creme mit Pflaumen und darauf Lardo (7/10) geht es dann zum nächsten Gang: Geschmortes Rind, es zerfällt quasi schon bei der Berührung mit der Gabel, in Kombination mit einer Sauce mit Himbeeren und Currykraut ist dann doch aber ein Gang mit Ecken und Kanten, welcher für mich gar zu viel an Harmonie vermissen lässt. (6/10)

Risotto, granchio, finocchietto e limone (Risotto, crab, fennel and lemon)

Angenehm körnig und schön schlotzig dann das Krabbenrisotto, perfekt die Kombination mit dem Fenchel und Zitrone. (7/10)

Die aufgedrehte amerikanische Dame verabschiedet sich nun wort- und berührungsreich vom Personal und von den anderen Gästen, da die Aussicht auf weitere laktosefreie Gänge doch eher beschränkt ist, und verlässt mit ihrem Begleiter das Restaurant. „Seht weisses Licht, seht nur Gefühl, die Nacht gehört uns bis zum Morgen, wir spielen jedes Spiel“, sang einst Falco; und die zurückbleibenden fragen sich, welches weisse Licht sie wohl noch diese lange Nacht sehen wird.

Lumache, legumi e aglio (Lumache pasta, legums and garlic)

Sehr ansprechend dann die Lumache-Pasta mit Bohnen und einer dezenten, doch präsenten Knoblauchnote. (6+/10)

Anolini, pecora e liquirizia (Anolini, sheep and liquorice)

Danach folgen grossartige Anolini gefüllt mit Fleisch vom Schaf, einer feinen Sauce und darüber geraspelt Süssholz. (7/10)

Tagliatelle, aringa, rafano e santoreggia (Tagliatelle, Bering, horseradish and savory)

Dezent und rund dann die Tagliatelle mit Herig, Meerrettich und Bohnenkraut. (7/10)

Canneloni, scorza nera e scorzonera (Cannelloni, pecorino and salsify)

Die Canneloni sind laut Service mit einem Pecorino Scorza Nera gefüllt, der intensive Gorgonzola/Blauschimmelkäse-mössig Aromen hat. Ein verwegenes, doch spannendes Gericht; doch der Pastateig ist recht dick und etwas hart. (6+/10)

Melanzana e crepinette di foglie (Aubergine and leafs in crepinette)

Laut Website sammelt das Restaurant-Team jeden Montag wilde Kräuter und andere Zutaten für die Küche. Beim nächsten Gang werden ein kleines Stück Aubergine (sehr süsslich zubereitet) mit einer Art Crépinette mit Blättern und präsentem Bittergeschmack kombiniert. Letztere sind viel zu hart und auch mit dem Messer nur sehr schwer zerteilbar; so wird das ganze unrund und unstimmig. (5+/10)

Funghi, alghe e gentili (Mushrooms, seaweed and wild lettuce)

Ansprechender dann die Plize mit Algen und wildem Salat. (6/10)

Rommbo, capperi e zucca (Turbot, capers and pumpkin)

Der Steinbutt ist ok, doch leider nicht überragend und nicht 100%ig sauber entgrätet; die begleitenden Kapern und der Kürbis unauffällig. Erwähnenswert der Gin Tonic der Geträngebegleitung, bei welchem der Gin gleichfalls einen Kaperngeschmack aufwies. (6+/10)

Vacca alla pizzaiola (Beef ‚alla pizzaiola‘)

Rindfleisch alla Pizzaiola, in einer Tomatensauce, ist eine italienische Spezialität. Das Stück Fleisch auf meinem Teller bestand leider vorwiegend aus Fett und Knorpel und war schwer zu beissen, daher ein Totalausfall. (-/10)

Piccione, ginepro, cicoria e albicocche (Pigeon, juniper, chicory and apricot)

Auch die Taube kann vom Produkt nicht ganz überzeugen und ist auf der sehr festen Seite. Die Kombination des eher süsslich angelegen Gerichtes mit Wacholder, Aprikose und als Kontrapunkt Chicoree ist schlüssig, doch aus meiner Sicht nicht perfekt umgesetzt. (6/10)

Meringata, raarbaro e ginepro (Meringue, rhubarb and juniper)
Tartelletta, limone e caramello (Tartlet, Leon and caramel)
Cheese cake ed use (Cheese cake and grapes)
Pudding di pane e mele selvatiche (Bread pudding and wild apples)
Torta di cacao, amaro jannamico e ciliegie (Cacao cake, amaro jannamico and cherry)

Nun werden die fünf Desserts hinter der Theke zubereitet und dann alle zu den Gästen gebracht.  Grossartig der Mernigue mit Rhabarber und Wacholder; sehr gut die Kakaotorte mit Kirsche. Gleichfalls gefällig das Tartlet mit Zitrone und Karamel, der Käsekuchen mit Trauben und der Brotpudding mit Apfel (6+/10)

Das Küchenreise-Rating

Das Restaurant Retrobottega hat eine spannende Nische in der kulinarischen Szene von Rom besetzt: Moderne, romisch/italienisch inspirierte Küche, keine scheu vor Experimenten und vor spannenden, manchmal auch ungewöhnlichen Geschmacksbildern. Spannende Gerichte zu einem für ein solches Restaurant attraktiven Preis.

Das ist ambitioniert, das bereitet dem Gast viel Spass, das lässt sicher auch dem jungen, nicht mit im Guide Michelin ausgezeichneten Restaurants erfahrenen Besucher keine Scheu aufkommen. Doch die Umsetzung schwankt noch: Manche Teller sind grossartig, der eine oder andere dann aber wieder technisch nicht sauber umgesetzt oder von Zutaten oder Geschmacksbild nicht ganz optimal. Doch Potential für mehr ist vorhanden!

Die Atmosphäre ist ansprechend und lebendig, der Service grossartig und die Getränkebegleitung kreativ und fein – in Summe ein gelungenes Gesamterlebnis!

Und bei 20 Gängen gilt „Die Nacht ist jung wie ihr, vergesst das Morgen“!

Restaurant Retrobottega in Rom (Italien)

Bewertung Essen (?): 6+ / 10
Küchenreise-Rating (?): 4 –  gerne wieder
Guide Michelin:
Gault Millau:
Gusto:
Küchenchef: Giuseppe Lo Iudice und Alessandro Miocchi
Adresse: Via della Stelletta, 4
I-00186 Roma
Telefon: +39-06-68136310
Web: retro-bottega.com
Kosten:

Menü 20 Gänge EUR 110, Getränkebegleitung EUR 50

Angekündigter Besuch (?): Nein
Einladung (?): Nein
Extras (?): Nein
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung.
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