Der Stoff, aus dem Träume sind
Eine eigenständige Küchenlinie und eine schöne Atmospähre brachten uns im Restaurant Reinstoff (2 Michelin Sterne, 17 Gault Millau Punkte) in den Berliner Edison-Höfen zum träumen.
Berlin Mitte, die Gegend um die Chausee-Strasse, meinen wir zu kennen. Wir haben schon dort schon übernachtet, gegessen und herumspaziert. Wir haben die riesigen, oft versteckten Innenhöfe bewundert. Den Mix der Häuser von alt bise ultramodern bestaunt.
Ja, hier irgendwo muss das Reinstoff sein. Dortgewesen sind wir noch nicht. Mussten gar einmal kurzfristig absagen, aber das ist eine andere Geschichte. Also hier irgendwo – in den Edison Höfen.
Der Zufall will, dass wir Mittags eine Kleinigkeit bei Sara Wiener speisten. Schön, die Tische im Innenhof der ehemaligen Lokomotivenfabrik. Gleich hinter der Weinbar Rutz. Google Maps (ja, noch bevor Apple die Maps Applikation am iPhone verschlimm-bessert hat) sagt, die Edison-Höfe sind gleich in der Nähe. Ja stimmt, so kennen wir das Ziel für heute abend.
Was sich im Abenteuer Taxifahren in Berlin auch als hilfreich erwies. Unfreundlichkeit, mangelnde Ortskenntnis, lange Umwege, so lauten die Vorurteile über Berliner Taxifahrer. Unserer war sehr freundlich. Doch so genau wusste er auch nicht, wo das Reinstoff ist. Haha, dem haben wir es gezeigt – im besten Sinne des Wortes.
Beim Eintretten in das Reinstoff lassen wir das hektische Berlin hinter uns zurück. Gedämmtes Licht, freundliche Atmosphäre, ein sympathischer Service – hier fühlen wir uns wohl! Und wählen mit einer kleinen Modifikation das angebotene Menü mit 9 Gängen und Weinbegleitung. Geniessen ein Glas Cava und harren der Dinge, die da kommen mögen!
Unser Dinner im Restaurant Reinstoff in Berlin
0. Grüsse aus der Küche
Wir bekamen zum Einstieg vier kleine Grüsse aus der Küche:
– Orange und Karotte: Ein fragiles Konstrukt, welches da mit einer Art Holzklammer in den Mund befördert werden wollte und – manchmal sind wir wohl etwas tollpatschig – beim Versuch auch gleich zerfiel. Geschmacklich blieb ein Hauch von Orange in unserem Mund zurück
– Bohnentempura: So einfach kann gut sein – eine Wachsbohne im Tempurateig frittiert. Dazu eine Reisweinvinaigrette, welche im Geschmack an Bohnenkraut erinnert – fein!
– Apfelschwein: Zwei dünne „Cracker“-Scheiben, gefüllt mit einer Creme aus Schweizefleisch und Apfel
– Indischer Fladen und Schafsjoghurt: uEin dünner Fladen, darauf ein wenig Linsensalat mit leichter Säure und Schafsjoghurt – gelungen!
Wir tranken dazu einen angenehmen Cava Reserva aus dem Jahr 2006.
Doch noch nicht Schluss mit den Grüssen, ein weiterer erreicht uns aus der Küche:
– Kartoffelchips, Weinbergschnecken, Wildkräuter: Am an eine Petrischale (sehr en vouge im Moment in der Gastronomie) erinnernden Essgeschirr finden sich eine Menge Wiltkräuter und eine Kräutercreme – toll! Dazu unter anderem Weinbergschnecken und leicht salzige, gewellte Kartoffelchips. Für uns klar: Das war der Gruss, welcher uns am besten geschmeckt hat!
Und jetzt noch eine kleine „Werbeeinschaltung“: Das Brot im Reinstoff war wirklich ausgezeichtet! Auch das soll erwähnt sein…
1. Gerösteter Reis, Avocado und Kaviar des Feldes
Riesling „sur lie“ Wintricher Geierslay, 2001, Günther Steinmetz
Die Darsteller am Teller: Eine (nur sehr wenig) angegrilte Avocado, eine Kugel Eis vom gerösteten Reis (ok) sowie ‚Kaviar des Feldes‘ (wir nehmen an, vom Spitzwegerich – extrem zurückhaltend im Geschmack). Dieser Gang hat uns ein wenig ratlos zurückgelassen.
2. Flusskrebse, Erbsen und Walnuss
Tamaral (100% Verdejo) 2010, Rudea
Wir sind Flusskrebse-Fans. Wer die manierlichen Tierchen schon mal in grösserer Menge ausgelöst hat, liebt sie oder hasst sie – wir zählen uns zur ersteren Gruppe.
Und die ausgelösten Flusskrebse am Teller sind hervorragend! Einen solchen Geschmack, eine solche Qualität würden wir uns immer wünschen.
Dazu gibt’s unter anderem Erbsenpüree und halbierte, noch wunderbar knackige Erbsen. Und Walnüsse – mal nicht geröstet, sondern „roh“ und ohne Haut. In Summe ein feiner Gang, die erdigen Aromen überwiegen. Doch ein Hauch mehr Mut beim Abschmecken und Lebendigkeit im Geschmack hätte uns noch mehr gefallen.
3. Tintenfische und Sommersteinpilz
Es riecht nach frischem Steinpilz! Intensiv steigt der Geschmack in unsere Nase. Frisch fein gehobelt und in Stücken zubereitet findet er sich am Teller; darunter eine Art Steinpilzcreme. Ein schöner Begleiter ist der zarte und gut gelungene Pulpo. Für uns ein ansprechender Gang, wiederum von „erdigen“ Aromen dominiert wird.
4. Gänselebercreme, Rindercarpaccio, wilder Rucola und Parmesan
Gewürztraminer Spätlese 2011, Geil
Es wird rot – haben bisher optisch die grünen / braunen Farbtöne dominiert, so bringt das Carpaccio einen schnönen „roten Tupfer“ ins Menü. Und es schmeckt auch: Auf feiner Gänselebercreme ein wunderbares Rindercarpaccio. Schön dazu die leichte Bitterkeit und Knackigkeit des Rucolas, ok die Parmesankracker. In Summe ein sehr gelungener Gang, gut abgeschmeckt mit Säure und Lebendigkeit.
5. Petermännchen, Einleger-Gurke und Mauerpfeffer
Godello sotre Mas, Valesil
Wann wird das Petermännchen endlich erwachsen und ein richtiger Mann? Ist uns egal, am Teller war er gut zubereitet; mit schönen Röstaromen. Der Duft frischer Guke steigt uns in die Nase, geschmacklich dominieren die gekochten Gurkenaromen. Gut!
6. Kalbsherz, Kimchi-Saft, Aubergine und Salatstiele
Spätburgunder „Alte Reben“ 2002, Weingut Bernhard Huber Wunderbare Pinot Noir Aromen in der Nase, im Mund jedoch schon etwas „ausgezehrt“
Für mache wird’s jetzt exotisch; das eine oder andere Vorurteil zu Innereien & Co könnte hervorgeholt werden. Wir lassen uns davon nicht abschrecken, im Gegenteil. Für unsere Leser essen wir – fast – alles. Kalbsherz sowieso. Wenn es in hauchdünn aufgeschnittenen Scheiben auf den Tisch kommt wie im Reinstoff und von einer Tollen Sauce mit Kimchi-Saft umspielt wird. Darunter scharf angemachte Salatstiele – für uns einen Hauch zu scharf, die wunderbare Balance gefährdent.
7. Basilikum, Pfirsich und Gin Mare
Vor dem Hauptgang wurde uns dann noch ein Basilikumsorbet gebracht . Hm, das war nicht ganz unser Fall. Das Stück vom Pfirscih war fein; der am Tisch darüber gegossene Spanische Gin gleichfalls. Erfrischt sind wir bereit für den Hauptgang!
8. Tausendundeine Nacht: Rehrücken, Rosenblätter, Feigen und schwarzer Sesam
Leda 2004, Vinas Viejas
Den leicht orientalisch angehauchte Rehrücken mit schwarzem Sesam finden wir hervorragend: Tolle Poduktqualität und perfekt die Zubereitung. Dazu ein mehr als ausgezeichneter Fonds und ansprechende Beilagen. Lobend sei erwähnt: Auch die Portionsgrösse war für hungrige Esser wie uns angemessen.
9. Ziegengrillkäse und ,Eifelfrische Natur’ vom Vulkanhof mit roter Spitzpaprika
Mantassa 2007 reduktiv ausgebaut
Spotlight auf den Ziegenkäse: Sehr fein mit schönen Grillaromen und einer leichten, passenden „Trockenheit“ der Ziegengrillkäse, daauf ein wenig Ziegenkäse ’natur‘, roter Spitzpaprika und ein karamelisierter Pimento – ausgezeichenter Käsegang!
10. Ausklang
Zum Ausklang gab es dann wieder vier Kleinigkeiten: „Getreidetrüffel“, „Brauseblatt“, „Mais, Malz und Whisky“ sowie „Leipziger Lerche“.
Das Finanzielle:
Zwei Mal das Menü mit neun Gängen, dazu je acht Gläser Weinbegleitung, vorab Cava sowie Wasser und Kaffe summieren sich auf knapp Eur 530. Für Berlin und 2 Michelin Sterne durchaus angebracht und nicht am obersten Vergleichsniveau. Auch die mit deutschen und spanischen Produzenten bestückte Weinkarte ist gästefreundlich kalkuliert.
Unser Küchenreise Rating:
Reinstoff – der Stoff, aus dem Träume sind? Der eine oder andere Gang hat uns zum Träumen gebracht! Die Küchenlinie ist sehr eigentständig, machnmal fast ungewöhnlich. Eine Spur einseitig fanden wir die sehr regelmässig wiederkehrenden erdigen Aromen diverser Gänge.
Der Guide Michelin gibt dem Restaurant 2 Sterne, der Gault Millau bewertet es mit 17 Punkten.
4 – Gerne wieder
(1 – sicher nicht wieder, 2 – kaum wieder, 3 – wenn es sich ergibt wieder, 4 – gerne wieder, 5 – unbedingt wieder)
Blogroll – was schreiben andere:
- Sternefresser (2010)
- The Real Picky Gourmet (2012)
- Foodie in Berlin (2011)
- B. Steinmann (2011)
- Anke Gröner (2011)
- Chezuli (2012)
- Eichi Berlin (2009)
Reinstoff
Schlegelstrasse 26c (in den Edison Höfen)
D-10115 Berlin Mitte
Interessant für mich war der erste offizielle Gang des menüs mit das beste was mir je serviert wurde 🙂
Spannend – wieso hat er Dich so begeistert?