Tausend mal berührt, tausend mal ist nichts passiert, die charakteristisch rauhe Stimme von Klaus Lage lässt meine AirPods vibrieren.
Ein Zufall, dass gerade heute die Neue Deutsche Welle spielt. Oder doch kein Zufall? Zwei Mal habe ich die drei Sterne Küche in San Sebastián jetzt schon berührt (Arzak, Akkelare), beide Male ist nichts passiert. Auf meinem Weg durch die Vororte von San Sebastián ahne ich noch nicht: Das Essen bei Martin Berasategui wie die tausend-und-erste Nacht von Klaus Lange – es hat Zoom gemacht.
Dabei lassen mich die Busparkplätze nahe dem Restaurant und die überall angebrachten Devotionalien des Meisters (Meister, so werden in fachfremden Magazinen ja gerne grosse Kochende bezeichnet; oder auch als Künstler hinter dem Herd) kurz zweifeln. Und, noch so ein Zufall, die Chinesische Reisegruppe, welche mir im Arzak begegnet war, findet sich an diesem Mittag gerade auch hier ein.
Menü im Restaurant Martin Berasategui
Doch kaum habe ich Platz genommen, beginnen die Zweifel auch schon wieder zu verfliegen. Die Räume sind grosszügig und hell, und nur wenn ich ganz genau hinhöre, dringen ein paar chinesische Wortfetzen aus einem abgegrenztem Raum an mein Ohr.
Der Service ist hier auch wirklich ein Service und nicht nur ein Kollektiv von Speisenausträgern. Zum Teil erfahrene Persönlichkeiten, welche sich auf Kommunikation verstehen und den Gast mit viel Fachwissen durch das Menü führen; zum Teil noch jung und unerfahren, doch mit unglaublich viel Engagement, wie etwa der Brotmann: Ein schlaksiger junger Herr ganz zu Beginn seiner Ausbildung, welcher am Rande des Raumes mit leuchtenden Augen und sichtlichem Stolz das Brot für die Tische vorbereitet.
Die Fensterfront gibt den Blick in die Natur frei, alles wirkt hier irgendwie entspannter und in sich gesetzter als bei den beiden Essen zuvor.
Die Karte im Restaurant Martin Berasategui offeriert einerseits das Grosse Degustationsmenü (bei jedem Gang ist auf der Karte jeweils das Jahr der Entstehung angegeben), andererseits auch eine umfassende Auswahl an à la Carte Gerichten. Ich entscheide mich für Ersteres. Und schon wird der erste Gang gebracht:
Was für ein Start! Schon der erste kleine Gang hier begeistert mich mehr als jeder einzelne im Akelarre. Und – ich hoffe es, doch weiss es zu diesem Zeitpunkt noch nicht – die Qualität der Speisen wird sich auf ähnlich hohem Niveau fortsetzen.
Gildas sind eigentlich kleine Tapas-Spiesschen mit pickled Gemüsen und Anchovis. Bei Martin Berasategui befinden sich auf einem Löffel mehrere Sphären mit intensivem, runden und klarem Geschmack nach Anchovis, von Chillis und von Oliven.
Dazu gibt es ein hervorragendes Tatar vom Bluefin-Tuna in einem leicht gelierten Kapernsud. Nur eine Kleinigkeit, doch schon ganz gross. (9+/10)
Anschliessend wird Brot und aromatisierte Butter gereicht.
Ein Klassiker aus dem Jahr 1995 dann das folgende Gericht: Zwei Scheiben perfekte Foie Gras, dazwischen grossartiger geräucherter Aal. Zwischen den Scheiben befinden sich hauchdünne Granny Smith Apfelscheiben, welche etwas Säure und Lebendigkeit geben, oben ebenfalls die hauchdünnen Apfelscheiben, doch karamellisiert und das Gericht mit Süsse und texturell mit einer ganz dünnen knusprigen Schicht ergänzen. Dazu gibt es eine ansprechend-runde Creme von Frühlingszwiebeln.
Was schlicht wirkt ist grossartig komponiert und umgesetzt und zu recht seit mehr als 20 Jahren auf der Karte des Restaurants! (10/10)
In einem Cocktail Glas wird nun ein Gelee vom Kabeljau mit weissem Spargel und Spargelcreme gebracht. Ein eleganter, fein ziselierter Gang, bei welchem die Aromen des Kabelaus schön mit dem weissem Spargel und seinem Hauch an Bitternoten harmonieren; dazu noch ein Stück Fischhaut als Texturgeber. Ein Wohlfühl-Genussgang! (9/10)
Optisch aufregend dann der nächste Gang: Auf den ersten Blick zeigt sich da ein grell-grüner Schaum in Kombination mit einem orange-roten Pulver.
Unter dem Schaum verbirgt sich eine grosse, zweigeteilte Auster von herausragender Qualität – ich vermeine das Meer und seine Aromen zu schmecken. Das Olivenjuice gibt schöne Olivennoten mit einem Hauch Bitterkeit, die Wasabi-Emulsion einen Tick Schärfe, irgendwo ist auch ein wenig Säure. Das kühle Eis harmoniert damit wunderbar, der ‚Sea Lettuce‘ gibt ein wenig Textur. Ein geniales Gericht! (9+/10)
Erneut ein Klassiker aus der Küche von Martin Berasategui (welchen ich kurz danach auch in einfacherer, doch gleichfalls sehr ansprechender Version im Bistro des Chefs gegessen habe).
Am Teller befindet sich eine Vielfalt von Blättern, von verschiedenen Kräutern, Nüssen, und von Seafood, etwa Hummerstückchen. Die Meeresgetiere glänzen mit Frische und perfekter Zubereitung, mit Gabel und Löffel esse ich mich durch den Teller, nehme einen Bissen hier, einen dort; jedesmal andere Geschmäcker auf meiner Zunge; doch immer zusammegehalten und vereint vom gelierten Dressing. Erneut hervorragend. (9/10)
Der nächste Teller wirkt auf mich wie ein beruhigender Zwischengang, um mal ein wenig zurückzuschalten und einfach zu geniessen. Rote Beete in verschiedenen Texturen und Zubereitungsarten, Fischeier vom Kabeljau, Tarama, erneut ein Gelee (einer der ganz wenigen Kritikpunkte heute – sehr viele Gelees), und ein (für mich zu süsser) Cracker. (8+/10)
Elegant dann der Kaisergranat von vorzüglicher Qualität, kombiniert mit einem ‚aniseed see-bed‚ und einer ‚coral mayonnaise‚, am Tellerrand ein Pulver vom Kaisergranat. (8+/10)
Ansprechend dann die Kombination von einer Meeresfrüchte– und Seetang-Creme mit Plankton und einer Garnelen-Consommé, Assoziationen an Japan, an Dashi und Eistich hervorrufend. Einzig für mich zu süss wirkend der Algencracker am Tellerrand. (8+/10)
Zwar ist die nun folgende Gazpacho von der Konsistenz erneut mit Gelee-artigen Elementen, doch sie gefällt und begeistert. Rockfish wurde in Limette mariniert, die Basilikum-Noten und die leichte Schärfe des Meerrettichs harmnieren wunderbar damit. Ein dezentes und rundes Gericht. (9/10)
Der Seeteufel ist von vorzüglicher Qualität, toll im Geschmack und hat schöne Röstaromen. Er wird laut Service begleitet von einer traditionellen Fischersauce aus mit Koriander, Limes, Zitronengras, Fenchel und Safran, dazu ein knuspriges Etwas mit schwarzer Tintenfisch-Tinte.
Der klare, intensive Geschmack des Safrans dominiert nicht, sondern wird gebrochen durch die frischen Noten wie vom Zitronengras; in Summe ergibt sich erneut ein fast filigraner, wunderbar rund kombinierter Gang. (9+/10)
Der nun folgende „Trüffel“ ist in Wirklichkeit kein solcher, sondern eine Art Pilzcreme mit einem Pilzsüppchen, einem Kohlblatt, einem pilzigem Schaum und spanischem Alma de Jerez-Olivenöl. Das ergibt ein geschmacklich spannendes, texturell für mich jedoch zu eindimensionales und zu sämiges Gericht. (8+/10)
Puristisch geht es beim nächsten Gang zur Sache, der Hauptdarsteller ist ein Sirlion Steak vom Metzgereibetrieb Luismi aus Galizien. Und dieser Hauptdarsteller ist ein Star.
Der erste Eindruck – wow. Innen rosarot, eine dünne, gleichmässige Kruste, butterzart und doch von fester Struktur.
Der zweite Eindruck – wow. Ein wunderbar intensiver, runder Fleischgeschmack, nussig, wunderbar gereift. Grossartig!
Die Käsesphären, Mangold und Chlorophyll harmonieren wunderbar mit dem Sirlion. (9+/10)
Nach der falschen Trüffel nun eine falsche Zitrone: Diese enthält etwas wie weisse Schokolade.
Keine weisse Schokolade, sondern mit Zitrone ist das dazu kombinierte Eis gemacht, weitere Begleiter sind grüne Bohnen und ein Basilikum-Juice. Das Pre-Dessert gefällt durch die Frische der Zitronennoten und des Geschmacks von Zitronenzesten in Kombination mit Basilikum, grünen Bohnen und der Mandeln. (8+/10)
Der süsse Abschluss dann eine Kombination von Schokolade, Kaffee (unter andere eine Art Kaffeeeis, von Schokolade umhüllt), Quinoa (golden) – eine wunderbar runde, schokoladige Kombination. (9/10)
Zum Abschluss des beeindruckenden Menüs dann noch einige Petit Fours.
Und nun dreht Martin Berasategui seine Runde durch das Restaurant, begrüsst die Gäste. Es gibt Chefs, die wirken in solchen Situationen arrogant oder unnahbar. Anderen merkt man an, dass sie sich in der Küche wohler fühlen als im Small Talk mit dem Gast.
Martin Berasategui wirkt bescheiden, höflich, bodenständig. Beantwortet mit einem Lächeln die immer gleichen Fragen. Lässt sich immer wieder mit den Gästen fotografieren, ohne sich dabei je in den Vordergrund zu drängen.
Ach ja: Und weil es so gut war, beschliesse ich am Abend, gleich nochmal bei Martin Berasategui einzukehren. In seinem Zweitrestaurant, dem eMe Be Garrote, auch bei San Sebastián und gerade ebenfalls mit einem Stern im Guide Michelin ausgezeichnet. Werde dort unter anderem eine vereinfachte, doch auf ihre Art auch sehr gute und eindeutig mit der selben Handschrift versehene Version des 2001 Vetgetable Salad geniessen.
Definitiv eine Empfehlung, daher hier zum Abschluss noch ein paar Bilder:
Das Küchenreise Rating
Ja, es hat Zoom gemacht beim Besuch des vom Guide Michelin mit drei Sternen ausgezeichneten Restaurant Martin Berasategui.
Nachdem die ersten zwei Berührungen mit den beiden anderen drei Sterne Restaurants in San Sebastián (Arzak, Akkelare),nicht ganz meinen Erwartungen gerecht wurden, hat mich der Besuch bei Martin Berasategui berührt und überzeugt.
Aussergewöhnliche und erstklassige Zutaten sind die Basis für kreative Gerichte. Technisch perfekt umgesetzt überzeugen sie mit klaren, runden Aromen, intensiven Geschmäckern und doch immer grosser Ausgewogenheit. Die Speisen sind zeitgemäss und modern, einzig der hohe Anteil an Gelees und Gelantine-ähnlichen Zutaten wirkt texturell über das Menü hinweg etwas einseitig; doch trägt er auch zur stilistischen Linie bei.
Auch der Service kann mit Professionalität und Kompetenz überzeugen, und die hellen, freundlichen und grosszügigen Räumlichkeiten sind ein schöner Rahmen für gutes Essen.
In Summe die klar spannendste und überzeugenste Darbietung der drei vom Guide Michelin mit 3 Sternen ausgezeichneten Restaurants in San Sebastián!
Restaurant Martin Berasategui in San Sebastián (Spanien)
Bewertung Essen (?): | 9 / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 5 – unbedingt wieder |
Guide Michelin: | *** |
Gault Millau: | – |
Gusto: | – |
Küchenchef: | Martin Berasategui |
Adresse: | Calle Loidi, 4 ES-20160 Lasarte |
Telefon: | +34-94-33 66 471 |
Web: | Martinberasategui.com |
Kosten: |
Menü EUR 275 |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |