In Donaueschingen im Südwesten Baden-Wüttembergs ist man an der Quelle: Hier entspringt die Donau, so sagt man (oder ist zumindest der Zusammenfluss von Brigach und Breg touristengerecht in ein steinernes Becken gefasst), bevor sie sich auf ihren 2’857 km langen weg in das schwarze Meer macht.
Ob sich im nahen Öschberghof auch eine Quelle kulinarischer Verlockungen befindet? Im dortigen Ösch Noir, welches vom 34-jährigen Manuel Ulrich und seinem Team bekocht und vom Guide Michelin mit einem Stern ausgezeichnet wird, mit Sicherheit ja!
1976 wurde das Golfhotel Öschberghof vom Aldi Süd-Gründer Karl Albrecht erbaut, und in den Jahren vor 2019 umfassend renoviert und erweitert. Neben 145 Zimmern, einem Spa und einem 45-Loch Golfplatz betreibt das Hotel auch 4 Restaurants. Der Chef des Ösch Noir hat im „alten“ Öschberghof gelernt und hat dann nach Stationen unter anderem im Haerlin in Hamburg und in der Schwarzwaldstube in Baiersbronn das Ende 2018 eröffnete Ösch Noir übernommen. Im März 2020 dann der erste Stern im Guide Michelin; im Gusto stolze 8+ Punkte.
All meine Vorab-Recherchen gehen mir durch den Kopf, als ich im in schwarzen Farben gehaltenen, futuristisch doch gemütlich wirkenden Restaurant Platz nehme und vom charmanten und kompetenten Service unter der Leitung von Marina Hentsch begrüsst werde.
Bei einem Glas Champagner mit für mich sub-optimalem Preis-Leistungsverhältnis studiere ich die Menükarte: Im Menü Noir (5 bis 7 Gänge) werden dem Gast auch Fisch und Fleisch darbeboten, das Menü Vert (5 bis 7 Gänge) ist die rein vegetarische Variante. Ich entscheide mich für ersteres.
Und schon werden die ersten Grüsse aus der Küche gebracht: Jakobsmuschel mit Tannennadel und Corail), Powerade (Baby-Artischocken) mit getrüffelter Artischockencreme und ein vorwinterlich-erdiges Lammragout mit Kartoffelschaum mit einem Tick Knoblauch und Olive – sie sind ansprechend, aufwändig kleinteilig kombiniert und erhöhen die Vorfreude. (7/10)
Bei grossartigem Roggenbrot mit feinen Zitronen- und Kräuterbutter wie auch einem Maggikrautöl studiere ich die Weinkarte am iPad: Zum Menü werden eine Weinbegleitung wie auch eine Grand Cru Weinbegleitung angeboten.
Generell ist die Weinkarte umfassend und mit sehr guter, oft spannender Auswahl zu Restaurant-üblichen Preisen. Die ausgerufenen Preise für die Gläser der „normalen“ Weinbegleitung erstaunen mich jedoch, und eine schnelle Konsultation von Dr. Google bestätigt meinen Verdacht: Der Rauschtrinker fährt günstiger, wenn er statt ein Glas im Restaurant zu erstehen lieber jeweils in eine ganze Flasche zu vergleichbarem Preis im einschlägigen Spirituosenhandel investiert. So lassen sich die EUR 86 für 6 Gläser auch durchaus die vergleichbaren ganzen (bzw. beim Port eine halbe) Flaschen im Einzelhandel erstehen:
- 2016 Riesling RS Bocksbeutel Magnum, Schloss Neuweier, EUR 14 / 0.1l (zum Vergleich 2018 0.75l Flasche EUR 12.90; Faktor zum Vergleichswein 8.1)
- 2019 Rivaner Kabinett, Weingut Hiss, EUR 12 / 0.1l (zum Vergleich 2019 Rivaner trocken, Weingut Hiss, EUR 5.30; Faktor zum Vergleichswein 17.0)
- 2017 Nico Weiss, Jürgen Ellwanger, EUR 12 / 0.1l (Einzelhandel EUR 7.69, Faktor 11.7)
- 2018 Chardonnay Prestige, Weingut Höfflin EUR 17 / 0.1l (Einzelhandel EUR 22.50, Faktor 5.7)
- 2013 Pinot Noir Königsegg, Schloss Halbturn, EUR 16 / 0.1l (Einzelhandel EUR 17.90, Faktor 6.3)
- 10J Tawny Port, Ramos Pinto EUR 15 / 0.05l (Einzelhandel EUR 28.75 für 0.75l; Faktor 7.8)
- Total Weinbegleitung EUR 86 vs. vergleichbare Weine im Einzelhandel (Port: auf halbe Flasche runtergerechnet) EUR 80.66 (Faktor 8.0)
Ein Faktor von 7.9 zum Einzelhandelspreis (noch höher im Vergleich zum Gastronomie-Einzelhandelspreis; die Berechnung mag nicht perfekt sein, doch sie zeigt die Grössenordnung auf) macht die Weinbegleitung auch für mich als Nicht-Rauschtrinker unattraktiv; ich wähle daher – unterstützt vom sehr kompetenten Schweizer Sommelier Michael Häni, der viele Hintergrundinformationen und Geschichten zu den angebotenen Weinen teilt – eine Flasche von der Weinkarte.
Doch schon geht es kulinarisch mit einem weiteren Amouse Bouche weiter, und zwar auf beeindruckendem Niveau: Eine Auster aus dem Haus Pléiade Poget wird kombiniert mit confiertem Eigelb von der Wachtel, Pilzen (Buchenpilze und Enokipilze) und Spitzkohl-Kimchi. Verbunden werden die Komponenten durch einen Ramensud und einer Crème von im Scharzwald produziertem Miso. Die jodigkeit der Auster in Kombination mit der Tiefe des Sudes und der Cremigkeit des Eigelbes ist eine tolle Kombination; und die Komplexität der Zubereitung bewegt sich bereits ganz am oberen Ende des ein-Sterne Spektrums im Guide Michelin! (7++/10)
Doch die Küche legt noch weiter zu: Vom von der Firma Balfego im Mittelmeer nachhaltig gefischter Thunfisch findet sich einerseits wunderbar fett-durchsetzter Toro (gebeizt und dann kurz geflämt), andererseits ein Tatar vom Rückenfilet am Teller. Tiefgründig ist der Thunfischjus mit Senf, kombiniert wird dies mit einem Kartoffelsalat (mit einem Pommes Soufflées), einem Tupfen mit Petersiliencreme, Senfsaat, Zwiebeln und Schalottenchuttney. Hier überzeugt sowohl die Qualität der Zutaten wie auch die Komposition und präzise Umsetzung des Gerichtes! (8/10)
Der nun folgende sautierte Carabinero wird kombiniert mit einer Kopfsalatcreme / mariniertem Kopfsalat, glasierten Erbsen mit Chiorzo-Speck, einer Hollandaise mit (sehr hartem) Chiorzocrumble und einem die Komponenten verbindenden Krustentiersud. Gelungen! (7+/10)
Stark der nächste Gang: Perfekt zubereiteter bretonischer Steinbutt, fast schon filigran im Geschmack, wird kombiniert mit einer hervorragenden Seeigelnage, dazu Brokkoli (geröstet, als Creme und mariniert), Seeigelcreme und zurückhaltendem Yuzugel. Die leichte Süsse des Seeigels und die jodigen Noten umschmeicheln den Fisch, der Bokkoli gibt Textur und ergänzt geschmacklich gut. (8+/10)
Zumindest in Wien könnte das nun folgende Gericht ein „Signature Dish“ in der Sternegastronomie sein; und auch hier gefällt es mir hervorragend: das Kalbsbeuscherl mit Kaviar.
Beim Kalbsbeuschel oder -beuscherl, einem Ragout mit Lunge und anderen Innereien wie Herz oder Zunge, steht eine Küche zunächst vor der Entscheidung, das klassische Geschmacksbild beizubehalten oder dies ganz radikal zu modernisieren. Das Ösch Noir hat sich für für erstere Variante entschieden, und dies ist auch sehr überzeugend gelungen.
Die zweite Entscheidung ist dann, wie das Gericht in der Umsetzung verfeinert, gegebenenfalls erweitert werden kann. Das Team von Manuel Ulrich verarbeitet hier Lunge und Herz vom Kalb, die Sauce erhält durch Charonnayessig den Säurekick und wird durch umami-reiche Steinpilze und Steinpilzpulver bereichert; in Summe weniger cremig als in vielen Originalvarianten, dafür präziser und mit sehr klarem Geschmacksbild. Der angebratene Serviettenknödel wie auch der Schnittlauch wieder sehr klassisch; die Imperial Kaviar auf dem Knödel dann eine hervorragende Erweiterung und ein kollegialer Partner, den man zukünftig auf keinem Kalbsbeuscherl mehr missen möchte.
Das ist grosse Klassik, pefekt umgesetzt und leicht modernisiert! (8+/10)
Als erfrischende Kleinigkeit vor dem Hauptgang wird dann ein „falsches Ei“ mit Kokos und Ananas gebracht. (8/10)
Die Taubebrust am nächsten Teller wurde an der Karkasse rosa gebraten, auf der Haut BBQ-Gewürze. Dazu am Teller Baked Beans, grüne Schlangenbohnen, Mais, Mais- und Bohnencreme und Röstzwiebel / gepickelte Zwiebel. Stark wiederum der Jus, diesmal ein tiefgründiger, reduzierter Taubenjus. (8+/10)
Der Tête de Moineaus dem Schweizerischen Jura-Gebiet wird beim Käsegang mit Rotkohl (Salad und ein Rotkohl-Ingwersud) und Birne (Chutney und gepickelter Birne) kombiniert; am Tisch wird noch eine Tête de Moine Sauce angegossen. Beim Betrachten des Tellers bin ich mir noch unsicher ob der Harmonie der Komponenten, doch nach ein, zwei Löffeln ist diese Sorge schnell vergessen. Die Rotkraut-Sauce rundet den Käse auf relativ dezente, ja fast schmeichlerische Weise ab, der Rotkohl-„Canneloni“ in der Mitte des Tellers gibt wiederum Frische; und die Birne ist ohnedies eine klassische Kombination zu Käse. Kreativ und gut umgesetzt! (8/10)
Als Pré-Dessert folgt nun ein Cassisbeerenmousse mit Milcheis, frischen Beeren, Basilikum und einem Molkesud mit Estragonöl und Wacholder; oben daraufgesetzt eine Knusperhippe. (8/10)
Das süsse Finale dann zum Thema Zwetschge (oder österreichisch Zwetschke): Ein Topfenknödel mit Zwetschgenfülle, darüber dünnes Zwetschgengelee, dazu Zwetschgenkompott, marinierte Zwetschgenn wie auch eine Vanille-Topfencreme, Haselnusseis und ein Zwetschgensud mis Sishu. Das sind runde, nicht zu plakative Aromen, welche gut harmonieren. (7+/10)
Zum Kaffee dann noch Petit fours – eine vorzügliche Zimtschnecke, ein mit lebendigem Säurespiel brillierender Granny Smith Schaumkuss, im Glas ein Zitronengratiné mit Kardamonsud und zwei Pralinen (Schokolade mit Mirabelle-Pfeffer und in der hervorragenden Kombination von Salzkaramell und Volmilchschokolade).
Ja, an diesem Abend habe ich mich an der Quelle grosser kulinarischer Freuden gefühlt!
Das Küchenreise-Rating
Im vom Guide Michelin mit einem Stern ausgezeichneten Ösch Noir kochen Manuel Ulrich und Team sehr überzeugend auf; einige der Gerichte der oft auf starker französisch-klassischer Basis aufbauenden und ausgesuchte Produkte verwendenden Küche brillieren bereits auf 2-Sterne Niveau. Beeindruckend, welch starken Stark das ambitionierte Küchenteam weniger als zwei Jahren hingelegt hat!
Restaurant Ösch Noir im Öschberghof, Donaueschingen
Bewertung Essen (?): | 8 / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 5 – unbedingt wieder |
Guide Michelin: | * (seit Anfang 2022 **) |
Gault Millau: | 16 / 20 |
Gusto: | 8+ / 10 |
Küchenchef: | Manuel UlrichManuel Ulrich |
Adresse: | Golfplatz 1, D-78166 Donaueschingen |
Telefon: | +49-771-84610 |
Web: | oeschberghof.com |
Kosten: |
Menü Noir in 7 Gängen EUR 169 (6 Gänge EUR 154, 5 Gänge EUR 129), Menü Vert in 7 Gängen EUR 157 (6 Gänge EUR 139, 5 Gänge EUR 119) |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |
Das Hotel Öschberghof
Wunderschön ist der komplett renovierte und erweiterete Öschberghof nahe Donaueschingen.
Das Restaurant Esszimmer im Öschberghof
Bei weitem nicht so überzeugend wie das Ösch Noir ist leider das Zweitrestaurant im Öschberghof, das Esszimmer. Erhältlich sind a la carte Gerichte wie auch ein Menü. Zwar liest sich die Karte ambitioniert (und ist auch so bepreist), doch hätte mich etwas weniger Ambition, dafür in perfekter Umsetzung deutlich mehr begeistert.
Als Beispiel etwa das ‚Carpaccio von Loup de Mer und Bachsaibling‘; eine Vorspeise, welche auf der Karte unter der Kategorie „Unsere kulinarischen Highlights“ geführt wird: Das Carpaccio wirkt auf mich sehr kühl und wässrig, was etwa von schnellem Auftauen herrühren kann. Grosszügig die Portion Imperial Kaviar, doch von Geschmack und Konsistenz für mich „ungewohnt“ und nicht mit dem gleichnamigem Produkt im Ösch Noir vergleichbar (anders wäre das bei einem Preis von EUR 22 für das ganze Gericht auch kaum machbar). Dass grob geriebener, sehr harter roter Pfeffer und Salzflocken auch über den Kaviar gestreut sind, macht das ganze für mich nicht besser. Ein wenig beliebig wirken die Gemüsestücke auf dem Carpaccio, welche sicher auch am Frühstücksbuffet eine wohlverdiente Rolle spielen könnten.
Auch beim Brotsalat ist das Ganze nicht unbedingt mehr als die Summe der Teile, hier wirken die Komponenten einfach gemischt und nicht sonderlich abgestimmt, und das Resultat ist nicht mit dem vergleichbar, was einem etwa in der Toskana als Panzanella serviert wird. Das Kalbsrahmgulasch wiederum ist ok, doch ist ok genug in einem Hotel, welches im Ösch Noir so unglaublich gutes Kalbsbeuscherl zubereiten kann? Das Fische manchmal am Teller einen zweiten Tod sterben ist ein zu oft gehörter Spruch, dennoch kommt er mir beim Fischgang in den Sinn: Das Produkt ist sehr heiss, wirkt auf mich total trocken und die Sauce darauf „eingetrocknet“ – so etwas kann etwa passieren, wenn der Fisch sehr lange unter einer Wärmelampe wartet, um endlich abgeholt und auf den Tisch gebracht zu werden.
Im Esszimmer würde mir eine weniger sophistiziert klingende, einfachere doch präzise und sauber umgesetzte Küche deutlich besser gefallen.