Den typischen Erwartungen an eine Weinbar wird das Rutz sicher auch gerecht; gerade in den Räumlichkeiten im Erdgeschoss. Eine umfangreiche Weinkarte, spannend gestaltet und zu fairen Preisen (Mitnahmepreis + 18 EUR). Doch schon dort überrascht das gastronomische Angebot, hebt sich vom „San Daniele, Parmesan & Oliven“ Weinbar-Allerlei an anderen Orten weit ab. Und wer die Stufen in den ersten Stock erklimmt, ist nahe am gastronomischen Himmel (Gault Milan 2011: 17 Punkte)!
Zuletzt waren wir im letzten Sommer in Berlin. Spät in der Hauptstadt angekommen, Rekordhitze, um 21h hatte es noch deutlich über 30 Grad. Noch viel zu Heiss im miniloft.com; und der Magen knurrt. Also auf in’s Ruths, eine Kleinigkeit wird es sicher noch geben. Dort angekommen wurde uns dann ein Platz auf der Terrasse angeboten, und die Küche war noch für mehr als eine Kleinigkeit zu haben. Frech haben wir sodann gleich nach 5 Gängen gefragt; nach einer halben Sekunde Schockreaktion und Nachfragen in der Küche wurde uns dieser Wunsch erfüllt. Ganz grosses Kompliment dafür! Die letzten waren wir dennoch nicht an diesem Abend (aber die Vorletzten).
Der gute Eindruck machte Lust auf eine Wiederholung; und so speisten wir kürzlich erneut im Rutz. Das Konzept nun leicht verändert – im wesentlichen ein Inspirationsmenü a la Marco Müller: bis zu 6 Inspirationen in jeweils 2 Erlebnissen (d.h. 6 „Themen“, welche in 2 Gängen nacheinander oder gleichzeitig serviert werden). So scheuten wir weder Kosten noch Mühe und stürzten uns in ein vergnügliches und erlebnisreiches 12 Gang Menü mit Weinbegleitung.
Das Bild zeigt den Bistro-Teil im Erdgeschoss; unverkennbar eine grosse Anzahl an dekorativen Weinflasschen an der Wand. Im ersten Stock gibt es in den Hinterhof raus auch eine sehr schöne Terasse.
Unser Menü im Restaurant Weinbar Rutz in Berlin
0. Grüsse aus der Küche
Brot, Butter mit Fenchel/Anis (?), Olivenöl, Meersalz
Stylisch schon die Brotstücke symmetrisch auf einer Schiefertafel angeordnet; dazu gab’s Olivenöl / Meersalz und Butter mit – die Erinnerung nicht mehr ganz perfekt – Fenchel oder Anis.
0.a Minze-Chilly Shot, Bananenkugel im „Bubikopf“
Wein: Hirsch Riesling Zöbinger Urgestein
In einer Pipette ein frischer und anregender Hot mit Minze und Chili (?); dazu eine Banaenkugel.
0.b Makrele auf Sojapürree
Schon optisch können Makrelen sehr ansprechend sein – auch geschmacklich sehr fein. Ergänzt um ein Sojapürree – schöne Abwechslung zur Sojasauce pur.
0.c Gazpacho von grünem und rotem Paprika, mit gebatener Sardine
Wirklich fein die Gazpacho: Unten in grün, dann in rot – mit strukturellen Elementen wie kleinen Paprikastückchen, Crispies etc. Dazu eine gebratene Sardine. Äusserst gelungener Gruss aus der Küche!
1. Gänseleber aus Aquitanien
1.a 2mal & Tomatenbortsch, Kirschkernöl
Wein: Künstler, Riesling Herzberg 2007
Die erste Inspiration drehte sich um die Gänseleber. Im ersten Schritt in 2 Variationen (in Milch porchiert sowie als Gänselebereis), mit Tomatenbortsch und Kirschkernöl für Süsse und Säure.
1.b Gebraten & Apfel-Quitte, Buchenpilze
Wein: Schimbock, Riesling 2007
Sodann unser Gänseleber-Favorit; gebratene Gänseleber mit Apfel-Quitte (am Teller, sowie als Eis links dazu) und Buchenpilze; wieder gutes „Mund-Feeling“; auch die Crispies waren wieder vorhanden…
2. 15 min Atlantikküste
2.a Mariniert & Meersalz Rose, Estragon
Wein: Wittmann, Scheurebe 2009
Die Reise zur Atlantikküste startet mit marinierten Stücken von der Garnele und Rosenblättern sowie Estragon. Gute gemacht, aber auf unserer Seite keine überschwängliche Begeisterung.
2.b Im Heu geräuchert & Verbene, Pomelo
Dann eine Garnele im ganzen im Heu geräuchert. Interaktives Essen für Fortgeschrittene – Kopf abbechen, Saft auf den Cracker laufen lassen. Fleisch der Garnele befreien, auf den Cracker legen, dann das aromatischere Öl aus der Pipette darüberleeren und ab in den Mund. Der Preis für den interaktivsten / am kreativsten angerichteten Gang, doch auch dieser Garnelengang war nicht unser Favorit.
3. Golden Balsam
3.a 1000 jähriges Landei & Spitzmorcheln, Erbse
Tausendjährige Eier sind natürlich keine tausend Jahre alt. Sie werden einige Wochen / Monate eingelegt und fermentiert; der Dotter wird dann wachsig, das Ei verfärbt sch in Richtung grün / schwarz.
Im Ruths sind die 1000 jährigen Eier nicht mal einige Monate alt. Und auch nicht schwarz, der Gast ist gefordert, dies zu erreichen. Dazu dient im eine Pipette mit Gegenbauer Apfel-Balsamico Essig (die österreichische Antwort auf den Aceto Balsamico), welche er in das wachsweiche Ei sticht und dann durch leichten Druck den Balsamico initiiert. Das ganze ergibt ein unerwartetes, aber wunderbares Spiel der Süsse und Säure im Ei, um das Ei ein weisser Schaum (war’s Kartoffelschaum? Ach, eigentlich sollte man alles sofort notieren….), darunter noch verborgen Spitzmorcheln und Erbsen. Höchst wunderbar und frühlingshaft!
Sehr gefällt uns auch das nicht nur bei diesem Gang verwendete Porzellan der Berliner Firma Hering.
3.b Weidekalbsbries & Blumenkohl, Trüffelkugel
Wein: Wittmann, Westhofener Silvaner 2008
Die zweite Variation zum Thema Golden Balsam war ein Kalbsbries mit Blumenkohl / Golden Balsam sowie einer Kartoffelkugel mit einem Stück Trüffel. Für uns nicht so aufregend wie das erste Erlebnis.
4. Teppanyakigrill
4.a Pulpo, Bronzefenchel, Bouillabaissegraupen
Wein: Künstler, Riesling Weiss Red 2009
Wir kamen zur Inspiration Sees Teppanyakigrill. Toller Pulpa vom Grill, mit einer Art Boulabaisse – sehr, sehr fein.
4.b BBQ Rippchen, Klatschmohn, Jacobsmuschel
Wein: Domaine de l’Horizon, Rose
Sparerips in Gourmetformat, leider das Rippchen mit minimalstem Fleischgehalt, wenn dieser auch köstlich.
5. Wagyurind
5.a Angebratenes Tatar, Backsteinkäse, Himbeer
Wein: Gut Hermannsberg, Niederhäuser 2009
Wir kamen zum Wagyurind. Zunächst eine Kugel vom angebratenes Tatar – muss Tatar eigentlich angebraten sein? Ok, verstehe die Idee dahinter, aber keine Begeisterungsstürme. Dazu Himbeersauce und Backsteinkäse.
5.b Confierte Brust, Stangenspargel, Sauce Choron
Dann confierte Brust vom Wagyurind, mit Spargel und einer Sauce Choron; eine Sauce Hollandaise mit Tomaten(mark). Intensiv das Fleisch, ausgezeichnet das ganze Erlebnis!
6. Rhabarber
6.a Dickmilchwolke & Rucola, Staudensellerie
Süsswein: Emrich Schönleber, 2009 Riesling
Die Zeit für das Dessert und den Rhabarber ist gekommen. Gar köstlich die erste Variante, auch Rucola und Staudensellerie passen mehr als gut in eine süsse Kombination!
6.b Baiser & Waldmeister, Earl Grey
Und zu guter Letzt eine Art Rhababerschnitte, darauf eine Art Schokoladekeks mit Baiser; sowie Earl Grey Eis. Sehr gut.
7. Süsses zum Kaffee
Zum Kaffee dann noch ein paar kleine und feine Leckereien…
Unser Küchenreise-Rating:
Tolle und kreative Küche! Das Konzept des Inspirationsmenü’s geht voll auf! Kunstvoll zusammengesetzte Erlebnisse, mit vielen – aber keineswegs zu vielen – Komponenten; Texturen, Temperaturen etc. Jeder Gang macht Spass, und macht Freude auf den nächsten. Der Service ebenfalls perfekt; freundlich, symphatisch und kompetent, genauso die Weiberatung.
Preislich kein Schnäppchen. Lieber das Essen etwas teurer und die Weine nur mit geringem Aufschlag (und kein Multiplikator). Bei 12 Gängen mit Weinbegleitung werden die Gläser dann wunschgemäss klein (andernfalls ja kaum zu schaffen); weiter 9 EUR / Glas entspricht dann aber nicht mehr dem „attraktiven Preis bei Wein“ Konzept.
4 – Gerne wieder
(1 – sicher nicht wieder, 2 – kaum wieder, 3 – wenn es sich ergibt wieder, 4 – gerne wieder, 5 – unbedingt wieder)
Weinbar Rutz
Chauseestrasse 8
D-10115 Berlin