Bitte NUR mehr!
Kommentar: Leider hat das Restaurant zwischenzeitlich geschlossen!
Klar, um Nordisch zu essen muss man nach Hong Kong fliegen. 14 Stunden in der Luft und ein ordentlicher Jetlag gehören da halt dazu.
Ach, in Kopenhagen gibt es auch Nordisches? Sogar lebende Ameisen aus dem lokalen Bau? Da sieht man wieder, wie verrückt wir Foodies sind. Den Rezepi links liegen lassen und nach China zu Nurdin Topham.
Wobei der hat ja auch schon beim Rezepi gearbeitet. Ist ein Engländer, kocht – jetzt wiederholen wir uns – nordisch. Brutal lokal quasi. Also das brutal lassen wir mal in Berlin. Und lokal – die Kräuter von der Grossstadt-Terrasse, das Gemüse aus der Stadt oder aus China, der Fisch aus Japan. Oder so ähnlich.
Im Küchenteam ein Schweizer. Der chinesische Service spricht auf einmal deutsch. Und der Restaurant-Name ist aus dem Arabischen entlehnt.
Ein wenig verwirrt hat uns das ja schon. Auch die anfänglichen Jubel-Berichte der – natürlich nur ein böses Gerücht – auf Kosten der Marketing-Abteilung durch das Restaurant geschleusten Hobby-Incentive-Blogger.
Aber wir hören auch Monate später aus verlässlicher Quelle, dass es im zwischenzeitlich mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant gut sein soll. Also hin. Wenn wir ja schon in der Stadt sind. Sonst wird uns noch langweilig.
Werden wir eine nordische Erleuchtung in China finden? Soviel vorweg, den Besuch im NUR einzuplanen war eine wirklich gute Entscheidung!
Unser Dinner im Restaurant NUR in Hong Kong
Also, dann legen wir mal die Fakten auf den Tisch: Geprägt hat Chef und Betreiber Nurdin Topham seine Zeit im Manoir aux Quat’Saisons in Oxford nahe London. Ein Stage im Noma wie auch im Nordic Food Lab hat ihn für die nordische Küchenphilosophie begeistert.
2013 kam er nach Hong Kong, im April 2014 hat er dort sein Restaurant mit dem Namen NUR (arabisch für „Licht“) eröffnet, dessen Küche bereits wenige Monate später mit dem ersten Michelin-Stern ausgezeichnet wurde!
Vom Four Seasons (Lest mehr: Big City Nights) können wir das Restaurant fast wetterunabhängig zu Fuss erreichen. Zuerst durch die IFC Shopping Mall, dann die überdachten Gänge hoch zum Escalator (der langen Rolltreppe, welche den Berg hoch führt).
Gleich nach Anfang des Escalator dann links, und in Kürze sehen wir bereits den NUR Schriftzug an der Terrasse im dritten Stock eines nahen Hochhauses. Also schnell hoch!
Was für eine bezaubernde „nordische“ Atmosphäre! Vom Bling-Bling, alternativ vom grellen Neon-Licht mancher Restaurants der Stadt haben wir ohnedies genug.
Zum draussen Sitzen ist es leider zu frisch. Doch im Restaurant haben wir einen tollen Blick auf die Küche. Zwei Menüs werden angeboten, wir entscheiden uns für das grosse in neun Gängen.
Die Weinkarte ist für Hong Kong-Verhältnisse recht vielfältig, doch wie üblich in dieser Stadt recht teuer. Wir wählen einen sicheren Wert, den Nuits Saint Georges 1er Cru Clos des Forets Seint Georges aus dem Jahr 2007 von der Domaine de l’Arlot, der mit seinen umgerechnet über 200 EUR den Preis des Menüs deutlich übersteigt.
Snacks
Der Start – ein Rote-Beete Taco mit Chutney von roter Beete und einer Wasserkresse-Emulsion; eine dehydrierte süsse Karotte mit Karottenpulver und Sauerrahm; wie auch eine vorzügliche Melone mit eingelegter Gurke und Paprika. (7/10)
Der zweite Gruss ist dann ein fermentierter Jasmin-Tee mit einem Hauch Zitrone; dazu Pliz-Cracker mit viel Umami, geröstetes Roggenbrot, Ricotta und Fenchel – gleichfalls sehr ansprechend! (7/10)
Tomato: Tomatoes, tomato essence
Der Tomate ist der erste Menü-Gang gewidmet: Tomaten mit Tomatenwasser, einem Hauch süssem Essig, Blätter vom Thai-Basilikum, dünne Zwiebelringchen und Korianderpulver.
Der Tomatengeschmack, unterstützt durch das Tomatenwasser ist intensiv, der Hauptdarsteller wird toll inszeniert. Basilikum und – im Abgang – das Korianderpulver ergänzen vorzüglich. Wow! (8/10)
Scallop: Hokkaido scallop, peas, yuzu, lardo
Das Meer steht vor uns. Ein Glas mit kleinen Stücken roh marinierter Jacobsmuscheln und knackigen Erbsen, dazu eine dünne Scheibe Lardo von intensivem Geschmack und schöner Fettigkeit. Belebt wird das Ganze durch die Frische von Yuzu. Wir geniessen und schlemmen! (8/10)
Mushroom: Maitake mushroom, berries, broth
„Umami, Umami, Umami“ singen wir beschwingt beim nächsten Gang. Japanische Maitake-Pilze (Google übersetzt das mit „Gemeiner Klapperschamm“), fest, angebraten mit schönen Röstaromen, eine Pilz-Brühe, verschiedene Kräuter und Beeren. Das ist erdig, das ist süffig, das hat eine feine leichte Bitternote, und die Kräuter machen es lebendig! (7/10)
Squid: Noodles, brassicas, cultured butter
In Form von Nudeln – bissfest a la ‚al dente‘, wie es sich gehört – findet der Tintenfisch seinen Weg an unseren Tisch. Mit einem fermentierten Kraut darunter und dem Kohlblatt darauf ergibt das eine spannende Aromatik. (7/10)
Egg: Scrambled Taiyouran egg, broccoli, seaweed
Der folgende Gang erscheint uns dann nicht ganz so ausgewogen: Eierspeis wird mit Brokkoli, Brokkoli-Blättern, gepopptem rotem Reis und einer Algenbutter kombiniert. Gut angelegt, doch einzig das Ei wirkt in Proportion und Menge zu dominant für uns. Dazu bekommen wir grossartiges Brot und eine geräucherte Butter (Assoziation: Der Geruch beim ausblasen einer Kirchenkerze) serviert. (6+/10)
Doch zwischenzeitlich hat uns die sehr charmant und kompetente chinesische Dame im Service offenbart, dass sie ein wenig deutsch spricht (für unsere Begriffe: sehr gut deutsch spricht). Ihr Vater (falls wir das richtig im Kopf behalten haben), der den Service leitet (und auch deutsch spricht), hat Verwandte, welche in der Nähe von Frankfurt leben.
Die Welt ist klein. Doch Zeit für ein generelles Lob zur Atmosphäre! Den güldenen Protz-Bling-Bling mancher Restaurants in der Stadt finden wir eher langweilig. Den „Plastiktischdecken und grelles Neonlicht, aber das Essen ist gut“-Ansatz auch nicht übermässig prickelnd.
Im NUR dagegen ist die Atmosphäre lässig, unkompliziert und – ja, nordisch. Die Platzverhältnisse sind grosszügig. Das Interieur ist hell und elegant. Und alles ist lässig ohne Zwang zur Übertriebenheit.
Und der Service – auch da, kein schlecht ausgebildetes Billig-Personal, keine übersteifen Bling-Bling Kellner, sondern Kompetenz und diese gewisse unkomplizierte Weltläufigkeit, welche wir schätzen!
Mackerel: Mackerel, cucumber, pickled guava, nasturtium
Langsam gegrillt wurde die nun folgende japanische Makrele, sie ist angenehm fest, intensiv und leicht rauchig im Geschmack. Die Gurke dazu wurde – man verzeihe uns die Vergesslichkeit – irgendwie mariniert und ist sehr erfrischend mit lebendiger Säure, die eingelegte Guave mit schöner Süsse wie auch die Brunnenkresse ergänzen gut. Eine tolle Kombination! (7+/10)
Beef: Beef tongue, radish, mustard
Zeit für Zunge: Die Rinderzunge wurde 24 Stunden gekocht und dann aussen angebraten, sie ist wunderbar zart und auf einer geschmacklich genau richtig dezenten Senfcreme angerichtet. Die fermentierte (?) Karotte hat ein schönes Säurespiel und ist ein toller, lebendiger Kontrast zum Fleisch! Dazu gibt es noch Brunnenkresse wie einen (zu harten) Kartoffelchip. (8/10)
Apple: Aomori apple, cucumber, meringue, dill
Back to Japan (jaja, so ist das in der nordisch-lokalen Küche): Aus der Präfektur Aomori stammt der Apfel, welcher der Mittelpunkt des folgenden Tellers ist. Und wer den Qualitätsfanatismus der Japaner kennt, der weiss, das kann nur gut werden!
Er ist langsam gekocht und angeflämt, dazu gibt es ein Kompott vom Apfel, beide schon süss. Kombiniert wird das ganz mit eingelegter Gurke (erneut schöne Säure, das ist ein toller Kontrast zur Süsse des Apfels), Dill und leider nicht mehr knackigen Meringue. Doch in Summe eine unerwartete, doch gelungene Kombination! (6+/10)
Doughnut: Goji cream, strawberries, thai basil
Der süsse Abschluss – eine Art Doughnut mit Goji-Creme, Erdbeeren und ein Erdbeersüppchen, kann dann nicht so ganz mit dem Rest des Menüs mithalten, doch wir haben ja eh schon gut gegessen. (6/10)
Anyway, von unserem Dinner sind wir sehr angetan.Ja, das war eine nordische Erleuchtung in China!
Unser Küchenreise-Rating
Braucht es nordische Küche in Hong Kong? Wenn sie von dieser Qualität ist, dann eindeutig ja!
Nurdin Topham und sein Team kochen im Restaurant NUR in Central stark auf. Die Gerichte sind sehr kreativ, die Geschmäcker sind harmonisch, die Umsetzung ist auf hohem technischen Niveau. Die Zutaten sind – wenn auch nicht immer nach nordischer Philosophie „lokal“, Japan etwa ist ja doch ein paar Flugstunden entfernt – von sehr guter Qualität. (7+/10) Der Guide Michelin in Hong Kong kann verwirrend sein. Manch im Guide hoch bewertetes Restaurant in der Stadt enttäuscht bei einem Besuch. Im NUR ist das anders. Auch nach europäischen Verhältnissen ist der Stern im NUR absolut gerechtfertigt! Und man spürt die Freude am grossartigen Kochen, welche weiteres Potential offenbaren mag! Auch von Atmosphäre und Service ist das NUR definitiv einen Besuch wert. Lässig, unkompliziert und doch auf hohem Standard. Das NUR hat unsere Erwartungen übertroffen und war für uns eine „Nordische Erleuchtung in China“! |
Restaurant NUR, Hong Kong
Bewertung Essen (?): | 7+ / 10 |
Küchenreise-Rating (?): | 5 – unbedingt wieder |
Guide Michelin: | * |
Gault Millau: | n/a |
Gusto: | n/a |
Küchenchef: | Nurdin Topham |
Adresse: | 3rd Floor, 1 Lyndhust Terrace Central, Hong Kong |
Telefon: | +852-2871 9933 |
Web: | http://www.nur.hk |
Kosten (Rechnung): | ca. 600 EUR (2 Personen) |
Angekündigter Besuch (?): | Nein |
Einladung (?): | Nein |
Extras (?): | Nein |
Alle Bewertungen beziehen sich auf den Zeitpunkt des Besuches. Unsere Wertungen reflektieren einzig unsere persönliche Meinung. |
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Danke für diesen und die vielen anderen Berichte über Hong Kong! Fahre demnächst hin! Hilft bei der Vorbereitung!
Hehe… auch für den Expat gute Tipps 😉 Aber sind 10 Gänge nicht zu viel?
Keine Angst, Silvia, die Portionen sind entsprechend angepasst! Enjoy!
Was haltet ihr generell von der Ratings des Guide Michelin in Hong Kong? Ist das mit Deutschland vergleichbar?
Die Wertungen des Guide Michelins in Hong Kong sind in der Tat heiss diskutiert und oft umstritten… Sie sind über die Zeit oft sehr stark schwankend… sie nehmen wenig Rücksicht auf Etikette (und das ist ja eigentlich positiv, es wird ja das Essen bewertet)… Und manchmal wirken sie aus Europäischer Sicht weit weg von der Realität oder auch zu hoch…